Die Schweizer Museumszeitschrift

Museumszeitschrift Nr. 21

Provenienzforschung, Energiekrise und ein Gespräch über Sprachgrenzen hinweg: In der 21. Ausgabe der Schweizer Museumszeitschrift werden die vom BAK unterstützte Benin Initiative Schweiz und das von ICOM Schweiz lancierte Projekt «Museumsklima» vorgestellt, «Im Gespräch» kommt es zum Austausch zwischen zwei Museen in ländlichen Regionen, dem Emmental und dem Val Verzasca. Ausserdem lockt die Bilderstrecke aus einem Museum der buchstäblich lebhaften Art, der Sukkulenten-Sammlung Zürich.

Museumszeitschrift Nr. 21

Zur Publikation

Die Schweizer Museumszeitschrift ist das Magazin für die Mitglieder von VMS und ICOM Schweiz. Sie informiert über die Aktivitäten der Verbände und die aktuelle Kulturpolitik, stellt ausgewählte Fachliteratur vor und wirft in Bildstrecken einen Blick hinter die Kulissen der Museen in der Schweiz. Die Zeitschrift erscheint zweimal jährlich in einer mehrsprachigen Ausgabe. Die wichtigsten Artikel sind in ihren Übersetzungen auf museums.ch verfügbar.

Die Museumszeitschrift kann in gedruckter Form kostenlos bestellt werden.
Druckversion bestellen

Übersetzungen

Das Verzascatal und das Emmental: unterschiedliche Regionen, ähnliche Museumswelten

Carmen Simon und Veronica Carmine im Dialog: Regionalmuseen im Spannungsfeld zwischen einem Angebot für Touristen und als Ankerpunkt für Einheimische.

Carmen Simon leitet das Regionalmuseum Chüechlihus in Langnau im Emmental, Veronica Carmine das Verzasca-Museum in Sonogno im Tessiner Verzascatal: Zwei ähnliche Museumsrealitäten in zwei ganz unterschiedlichen Regionen der Schweiz. Schon die Entfernung zwischen dem Emmen- und Verzascatal ist beträchtlich, was dazu geführt hat, dass das Treffen zwischen den Museumsleiterinnen nicht physisch stattgefunden hat, sondern virtuell via Zoom. Für beide Museen sind Tourist:innen von entscheidender Bedeutung, aber gerade der Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung stellt eine grosse Herausforderung dar. Im Gespräch zeigen sich Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede.

Können Sie ihre Museen jeweils kurz beschreiben?

Carmen Simon: In den 1930er-Jahren hat man in Langnau im ältesten Holzgebäude der Region ein Museum einzurichten begonnen. 1981 ist das ganze Haus zum Museum geworden. Unser Motto lautet: «Das Emmental in einem Haus». Unsere Institution beinhaltet 1000 Quadratmeter Ausstellungsfläche, 400 Quadratmeter Depotfläche und 25'000 Objekte zum Emmentaler Kulturgut. In 25 von 26 Ausstellungsräumen befindet sich eine Dauerausstellung. Dabei haben wir auch Kulturgüter von nationaler Bedeutung wie die Langnau-Keramik.

Veronica Carmine: Unser Museum ist sehr klein und besteht aus zwei Gebäuden in Sonogno, dem letzten Ort im Verzascatal auf 900 Metern Höhe. Ein Haus ist historisch – es stammt aus dem 18. Jahrhundert. Das zweite Haus ist neu und wurde 2017 auf dem Platz einer Postauto-Garage erstellt. Das Museum hat lange Zeit Ausstellungen zu klassischen Themen wie «Milch» oder «Wolle» angeboten, um eine aussterbende Kultur zu zeigen. Es gab 3000 Objekte einer ländlichen Kultur.

Dann haben Sie 2017 das Konzept grundlegend verändert. Warum?

Veronica Carmine: Ja, wir haben uns dann auf einige grundsätzliche Themen konzentriert. Zum Beispiel auf die Frage: Wie hat sich die Landschaft im Laufe der Zeit verändert? Dabei leitete uns auch ein touristischer Aspekt. Die Tourist:innen sehen einfach die grüne Verzasca und die Schönheit des Tales. Unser Leitgedanke war aufzuzeigen, wie die Menschen in dieser Landschaft gelebt und gearbeitet haben. Im alten Haus gehen wir auf Themen wie Armut, Kinderarbeit und Kaminfeger ein – und konfrontieren die historischen Aspekte mit der heutigen Situation auf der Welt.

Carmen Simon: Das ist sehr spannend. Unsere Museen stehen an unterschiedlichen Punkten. Bisher hat man sich in Langnau auf das Sammeln und Ausstellen der Emmentaler Vergangenheit konzentriert. Themen wie «Käsehandel» oder «Leinen» finden sich in der Dauerausstellung. Ich habe das Museum vor zwei Jahren übernommen und wir arbeiten nun auch an einem Übergang. Wir haben ein partizipatives Projekt mit dem Eishockey-Club SCL Tigers durchgeführt. Denn bisher hatten wir kein Objekt in der Sammlung, das aus der Zeit nach 1950 stammt, also genau aus der Zeit, in welcher der örtliche Schlittschuh-Club als SCL Tigers bekannt wurde und den Namen Langnau ins Land hinaustrug.

Wer besucht denn ihre Museen?

Carmen Simon: Unser Haus ist im Grunde auf Tourist:innen und Gäste ausgerichtet, obwohl Langnau selbst eigentlich kein Tourismushotspot ist. Wir zählen zirka 8'000 Gäste pro Jahr im Chüechlihus, darüber hinaus pflegen wir aber noch viele Kontakte über die sozialen Medien und ermöglichen mit partizipativen Projekten die Teilhabe über unsere Webseiten: Insgesamt können wir so zirka 13'500 Menschen involvieren.

Zu den Veranstaltungen unseres Museums kommen dann aber eher die Einheimischen. Unsere Herausforderung ist, dass unser Museum hauptsächlich aus einer Dauerausstellung besteht, die auf der historischen Sammlung basiert und somit zu wenig Abwechslung bietet, um das Museum häufiger zu besuchen. Es ist genau meine Aufgabe, ein neues Gleichgewicht herzustellen. Wir suchen nun die Partizipation der Bevölkerung, damit sie sich als Teil des Hauses fühlen.

Wie zeigt sich das konkret?

Carmen Simon: Das Projekt mit dem Schlittschuh-Club habe ich bereits erwähnt. Wir haben das Museum ganzjährig und neuerdings im Winter nicht nur an den Sonntagen geöffnet, und das hat sich bereits bewährt. Wir spüren ein gestiegenes Interesse von Seiten der Bevölkerung.

Das Museum im Verzascatal ist hingegen nur von Mitte April bis Ende Oktober geöffnet. Wird dies so bleiben?

Veronica Carmine: Unser Museum lebt hauptsächlich von Tourist:innen. Sonogno selbst hat gerade mal 100 Einwohner, das ganze Tal rund 850. Wir zählen zirka 4000 Besucherinnen und Besucher pro Saison. Es ist sicher eine Besonderheit unseres Museums, das sich in der italienischen Schweiz befindet, dass die Hälfte der Besucher:innen deutschsprachig ist. Für uns sehr wichtig ist die Tatsache, dass zusehends auch Schulen unser Museum besuchen.

Verdankt sich die neue Ausrichtung des Verzasca-Museums der starken Präsenz von Touristen?

Veronica Carmine: Wir haben ein neues Konzept eingeführt, aber nicht nur für Tourist:innen. Wir haben etwa festgestellt, dass das Thema der Emigration fehlte. Jetzt lassen sich nach wie vor historische Räumlichkeiten wie eine alte Küche sehen, so wie die Menschen einst gelebt haben. Aber wir haben Räume hinzugefügt, die an eine generelle Problematik heranführen, etwa die Armut. Warum sind im Verzascatal nicht alle Kinder im Winter in die Schule gegangen? Weil einige sich als Kaminfeger verdingen mussten, etwa in Mailand. Wir schlagen dann den Bogen zur Kinderarmut, die es auch heute auf der Welt gibt.

Carmen Simone: Das finde ich hoch interessant. Es zeigt sich: Man kann die Geschichte aus heutiger Sicht kritisch betrachten und hinterfragen. In einer Tourismusdestination ist das nicht einfach, weil sich die Leute gerade in den Ferien nicht gross Gedanken machen wollen. In einer gelungenen Museologie gelingt es aber, den Gästen ein gutes Erlebnis bieten und gleichzeitig zum Nachdenken anzuregen. Wir müssen aus dem Hier und Jetzt eine Beziehung zum Kulturerbe herstellen. Und hinter dem Kulturerbe stecken immer Menschen. Als Museumsmacherinnen müssen wir diese Verbindung herstellen. Wenn wir das nicht schaffen, verlieren wir an Relevanz.

Veronica Carmine: Genau. Wir müssen nicht einfach nur deskriptiv sein, sondern auch analysieren. Das unterstreicht übrigens auch die neue Museumsdefinition, die vom Internationalen Museumsrat ICOM anlässlich der Jahrestagung 2022 in Prag ausgearbeitet wurde. Demnach muss sich ein Museum mit der Gesellschaft vernetzen, aus den eigenen vier Wänden ausbrechen und partizipativ sein.

Doch im Falle von Tourist:innen kann sich ein Problem auftun. Viele wollen sich gerade in den Ferien nicht mit den Problemen der Welt belasten und lieber abschalten. Sie sagen nun, diese müssten zum Nachdenken über die Gegenwart angeregt werden. Wie lassen sich diese unterschiedlichen Bedürfnisse und einen Hut bringen?

Carmen Simone: Ich finde in diesem Zusammenhang sehr wichtig, was meine Kollegin Veronica gesagt hat. Wir haben seit letztem Jahr eine neue Museumsdefinition. Bewahrung und Vermittlung von Kulturerbe ist wichtig, aber genauso die Interpretation und Diskussion dieses Erbes. Also: Erlebnis, Reflexion und Diskussion. Das ist die grosse Kunst. Und Museen sollen dazu auch noch Spass machen. Ich finde es gut, dass wir nun diesen Auftrag offiziell haben.

Haben sich Regionalmuseen dank dieser neuen Museumsdefinition emanzipiert gegenüber den grossen Museen?

Veronica Carmine: Es ist vor allem ein Prozess der Professionalisierung. Bei uns wurden die Regionalmuseen – früher Heimatmuseen genannt – lange von Lehrerinnen und Lehrern nebenbei gemacht. Der neue Auftrag erfordert mehr Professionalisierung.

Carmen Simone: Ich habe Museumswissenschaften mit einem Master abgeschlossen und auch in grossen Häusern wie dem historischen Museum von Basel gearbeitet. Doch ich finde die Arbeit in einem Regionalmuseum sehr spannend und keineswegs weniger attraktiv als in einem grossen Museum. Natürlich sind die Herausforderungen gross, aber es besteht unglaublich viel Potential. Hier geht es um wichtige Dinge wie Heimat und Identität. Es würde mich in diesem Zusammenhang auch sehr interessieren, wie ihr im Verzascatal mit der lokalen Bevölkerung zusammenarbeitet.

Veronica Carmine: Wir lancieren partizipative Projekte und suchen den Kontakt über Social Media. Wir betreiben die Facebook-Gruppe «Se sei verzaschese» (Wenn du ein Verzasche bist) mit über 1400 Mitgliedern. Ein Beispiel: Ich habe das Museum während der Gastronomischen Wochen in die Restaurants unserer Region gebracht. Es gab etwa den «Event Staudamm». Alle waren eingeladen, an einem bestimmten Tag und zu einer bestimmten Zeit ein Objekt mitzubringen, das sie mit dem Verzasca-Staudamm verbindet.

Eine Art kultureller Stammtisch mit der Bevölkerung. Ich habe aufgenommen, was sie dazu zu sagen hatten. Später habe ich mit den Objekten und Audio-Aufnahmen eine eigene Ausstellung im Museum entwickelt. Und wer kam dann? Die Leute aus dem Tal, um ihre Sachen anzuschauen oder ihre Erzählungen anzuhören.

Carmen Simone: Mit dem Eishockey-Club Langnau haben wir etwas sehr Ähnliches gemacht. Wir lancierten einen Aufruf mit der Einladung, Objekte zu bringen und dazu die jeweiligen Geschichten zu erzählen. Der Erfolg war gross: Sogar heute kommen die Leute noch vorbei und erzählen. Ich lade diese Erzählungen auf eine App hoch, so dass sie von anderen Besucher:innen beim Betrachten eines Objekts angehört werden kann.

Ein weiteres Projekt dreht sich um Objekte, die wir aus unserer Sammlung entlassen, auch hier gemeinsam mit der Bevölkerung. Das ist sehr spannend, weil auch am Stammtisch über Museumsprozesse diskutiert wird, etwa über die Frage, ob ein Museum überhaupt Gegenstände weggeben darf. Sogar online können Teilnehmende über die «Entsammlung» abstimmen, sich mit einer Idee für die Weiterverwendung auf die Gegenstände bewerben und schliesslich gemeinsam entscheiden, welche Ideen überzeugen.

Veronica Carmine: Das ist sehr spannend, aber auch anspruchsvoll. Am Ende geht es vor allem um einen Demokratisierungs- und Mediationsprozess in der Museumslandschaft, den wir mittragen wollen. Es ist nicht mehr der Kurator oder die Kuratorin, die durch eine Ausstellung einfach Wissen vermittelt, sondern es sind die Benutzer:innen, welche das Museum durch ihre Erfahrungen und ihr Wissen mitprägen.

Gesprächsführung und Gesprächsaufzeichnung: Gerhard Lob

Kulturpolitik: Museumsklima im Wandel

Mit der Energiekrise hat die Debatte um den Ressourcenverbrauch in Museen Fahrt aufgenommen. ICOM Schweiz lanciert deshalb die Plattform «Museumsklima». Das Ziel: den Austausch unter Museumsfachleuten zu fördern und eine bessere Datenlage zum Umgang mit Klimakorridoren zu erhalten.

Museumsmitarbeiter:innen, die in der Skijacke am Arbeitsplatz vor sich hinfrieren: Sie gab es diesen Winter wohl mancherorts. Viele öffentlich finanzierte Häuser mussten angesichts der befürchteten Energiekrise bei den kantonalen Sparvorgaben mitgehen und die Heizungen herunterdrehen. Nachdem die Kantone ihre Energiesparmassnahmen aufgehoben haben, zeigt sich: Auch wenn das Frieren im Museum längerfristig kein tragbarer Zustand ist, sind die Kulturinstitutionen in der Pflicht, ihren Fussabdruck genau zu studieren. Ein Museum verbraucht viel Energie – das Sparpotenzial ist entsprechend hoch. Besonders bei der Klimatisierung der Häuser.

«Die Ansprüche gehen teilweise weit auseinander», sagt Natalie Ellwanger. Sie ist Co-Präsidentin des Schweizerischen Verbands für Konservierung und Restaurierung (SKR). Wenn es ums Klima im Museum geht, unterscheiden sich die definierten klimatischen Vorgaben für unterschiedliche Objekte und Materialien, für die Bedingungen in Depots einerseits und für Ausstellungsräume andererseits fundamental. Ellwanger begrüsst das Bestreben von ICOM Schweiz, statt mit einem Sollwert mit einem erweiterten Klimakorridor zu arbeiten: also einen breiteren Rahmen zuzulassen, in dem sich Temperatur und relative Feuchte bewegen dürfen.

Das Projekt unter der Leitung von Vorstandsmitglied Dr. Nathalie Bäschlin, Chefrestauratorin Kunstmuseum Bern und Dozentin HKB, geht in die gleiche Richtung wie etwa beim Deutschen Museumsbund:Dieser empfahl als Massnahme im Rahmen der Energiekrise Temperaturgrenzwerte zwischen 18 und 26 Grad Celsius und eine Toleranz zwischen 40 und 60 Prozent relativer Feuchte. Der noch immer weit verbreitete Standard lässt nur Schwankungen von wenigen Grad und eine Luftfeuchte von rund 50 Prozent zu.

Schwankungen ja, aber nur langsam

Ein Notfallplan aufgrund des Strommangels darf nicht mit dem langfristigen Bestreben nach Energieeffizienz verwechselt werden. Und doch zeigt er die Stossrichtung. Die Einhaltung der starren Vorgaben – immer und ungeachtet der Jahreszeiten – ist sehr aufwändig und damit der Energiefresser schlechthin. Weiterhin soll aber gelten, dass die Schwankungen innert 24 Stunden nicht grösser als 5 Prozent relative Luftfeuchte und 2 Grad Celsius sein dürfen.

Als Konservatorin und Restauratorin hat Natalie Ellwanger die Erfahrung gemacht, dass Objekte mehr aushalten, als man ihnen zutraut. «Ich habe schon in einem Museum mit sehr hohen Jahresschwankungen gearbeitet – und die Objekte nahmen nicht grösseren Schaden als in einem aufwändig klimatisierten Museum.» Entscheidend sei aber, dass die Schwankungen sehr langsam vonstattengingen. Wenn es also im Winter kalt und im Sommer warm ist, leiden die Exponate noch nicht per se. Anders sieht es jedoch aus, wenn sie regelmässig innert weniger Stunden grossen Schwankungen von Temperatur und Feuchtigkeit ausgesetzt sind.

Doch wie gelingt es, Schwankungen zu verlangsamen? Entscheidend ist das Gebäude. Möglichst gut isolierte Aussenwände sind der Schlüssel zum organisch-konstanten Klima, ebenso die Verwendung hygroskopischer Baumaterialien. Für Ellwanger ist das Vorarlberg Museum in Bregenz ein Vorzeigebau: Der Lehmputz an den Wänden und die sägerohen Holzfussböden unterstützen passiv die Regulierung des Raumklimas. Zudem wird die Temperatur nicht über die Luft geregelt, sondern über eine Bauteilaktivierung in Form eines Wand- und Bodentemperierungssystems, vergleichbar mit einer Fussbodenheizung. Über dieses System kann sowohl erwärmt wie auch gekühlt werden. Diese Art der Temperaturregulierung ist träge – und damit genau das, was man in einem Museum will.

Wenig Spielraum in alten Gebäuden

Von solchen Möglichkeiten kann Miriam Tarchini nur träumen. Sie ist verantwortlich für die präventive Konservierung im Museum Murten. Die Institution ist in der denkmalgeschützten alten Stadtmühle untergebracht. Deren Aussenwände sind unten aus Stein und oben aus Holz und Verputz, der Dachstock ist nicht isoliert. Das Treppenhaus ist offen, es gibt keine geschlossenen Räume. «Wir haben wenig Spielraum, um die Situation zu verbessern», sagt Tarchini, «wir können gar kein stabiles Wunschklima hinkriegen.» Somit ist auch das Energiesparpotenzial gering. Empfindliche Sammlungsstücke und Leihgaben werden in Klimavitrinen ausgestellt. Das funktioniert gut, schränkt aber die kuratorischen Möglichkeiten ein.

Wie unterschiedlich die Ansprüche verschiedener Häuser sein können, weiss auch Werner Müller. Er ist Leiter Restaurierung im Kunstmuseum Basel, das sich seit Jahren intensiv mit seinem Klima auseinandersetzt. Er begrüsst die ICOM-Stossrichtung, warnt aber vor schnellen Lösungen. «Einfach die Klimaanlage runterzudrehen, kann kontraproduktiv sein», sagt er. Etwa im internationalen Leihverkehr sieht er Herausforderungen - und unterschiedliche Kulturen. «In deutschen oder holländischen Museen stellen meist die Restaurator:innen die Bedingungen für Leihgaben auf. In Frankreich und Grossbritannien kümmert sich die Rechtsabteilung darum - und beharrt streng auf der Luftfeuchtigkeit von 48 bis 52 Prozent.» Museen, die auch auf Leihgaben setzen, können also nicht ohne Weiteres den breiteren Klimakorridor umsetzen, solange das Museumsklima international noch sehr unterschiedlich betrachtet wird.

Das Kunstmuseum Basel befindet sich laut Müller in einer Phase der intensiven Messungen und wird dabei auch vom Kanton unterstützt. Es gilt herauszufinden, wie die drei Gebäude, die zum Museum gehören, auf die Umwelteinflüsse und die Klimatisierung reagieren. Es ist eine interdisziplinäre Herausforderung, die mitspielenden Faktoren richtig einzuordnen. «Wichtig ist, dass die Museen ihre Häuser gut kennen», sagt Müller. Erst dann lasse sich mit möglichst wenig Energieaufwand möglichst viel erreichen.

Autor Michael Feller, Redaktor Kultur & Gesellschaft «Der Bund»

Objektgeschichten gemeinsam erforschen

Acht Schweizer Museen betraten Neuland in einem Forschungsprojekt über zwei Kontinente hinweg: Im Rahmen der Benin Initiative Schweiz untersuchten sie gemeinsam ihre Sammlungen nach Raubkunst. Dabei war der Dialog mit Nigeria wegweisend.

Im einstigen Königreich Benin wurde ab dem 16. Jahrhundert der Palast des Herrschers, Oba genannt, mit zahlreichen Tafeln und Skulpturen geschmückt: Tier- und Menschenfiguren, königliche Regalien und Ornamente, Götter- und Teufelsbildnisse. Das Wissen um deren Bedeutung und Fertigung wurde von Generation zu Generation weitergegeben. Die heute als sogenannte Benin-Bronzen bekannten Objekte stellten die Geschichte des Königreichs auf verschiedenen Ebenen dar. So dienten die Reliefs im Palast als historisches Archiv – bis 1897 die britische Armee in Benin City einfiel. Der Palast brannte ab, der damalige König wurde abgesetzt und ins Exil geschickt. Tausende Kunstwerke wurden entwendet. Die Benin-Bronzen gelangten über den kolonialen Handel in private und öffentliche Sammlungen auf der ganzen Welt.

Heute finden sich manche dieser Bronzen in öffentlichen Sammlungen der Schweiz. Das Bernische Historische Museum, das Kulturmuseum St. Gallen (vormals Historische und Völkerkundemuseum), das Musée d’ethnographie de Genève, das Musée d’ethnographie de Neuchâtel, das Museum der Kulturen Basel, das Museum Schloss Burgdorf, das Völkerkundemuseum der Universität Zürich und das Museum Rietberg Zürich haben sich deshalb zusammengeschlossen, um die Herkunftsgeschichten ihrer Sammlungen aus dem einstigen Königtum Benin zu untersuchen. Unterstützt wurde das Projekt vom Bundesamt für Kultur (BAK), die Leitung der Benin-Initiative übernahm das Museum Rietberg, das die Initiative auch ergriffen hatte.

Neu ist sie nicht, die Debatte um Provenienz und Restitution, also Herkunftserforschung und Rückgabe geraubter Kulturgüter. Neu ist jedoch, dass eine Gruppe von Schweizer Museen diese Frage aktiv angeht und dabei eng kooperiert. Und neu ist auch die vertiefte Zusammenarbeit mit dem Herkunftsland. Auf den Austausch und den Dialog mit Fachleuten aus Nigeria wurde grosser Wert gelegt.

Aufwändige Spurensuche hier und dort

Die geteilten Geschichten der Objekte wurden gemeinsam mit nigerianischen Partner:innen aus dem Königspalast, aus den Nationalmuseen und aus der Forschung erarbeitet. Eine wichtige Rolle spielte in diesem Zusammenhang Enibokum Uzebu-Imarhiagbe. Die Historikerin der Universität Benin City forschte nicht nur in Archiven, sondern stützte sich auch auf mündlich überlieferte Geschichten. Dazu interviewte sie Künstler aus der bis heute bestehenden Gilde der Benin-Bronzengiesser.

Die Einbindung der nigerianischen Perspektive erwies sich als enorme Bereicherung – für beide Seiten. So besuchte Enibokum Uzebu-Imarhiagbe im Herbst 2021 Sammlungen in der Schweiz. «Für mich war es das erste Mal, dass ich die Objekte, die meine Vorfahren geschaffen haben und die mit der Strafexpedition aus dem Land verschwanden, betrachten und anfassen konnte», schwärmt sie in einer Videodokumentation über den gegenseitigen Forschungsaustausch. Den hiesigen Fachleuten wiederum öffnete die interkontinentale Zusammenarbeit die Augen für bisherige blinde Flecken. Im Frühjahr 2022 reisten Michaela Oberhofer und Alice Hertzog, respektive Co-Leiterin und wissenschaftliche Mitarbeiterin des Projekts, nach Benin City. «Der aufregendste Teil dieses Projekts ist der Austausch. Einerseits zwischen Nigeria und der Schweiz als Staaten und andererseits zwischen den Forschenden aus beiden Ländern.», so Enibokum Uzebu-Imarhiagbe.

Historischer Moment im Museum Rietberg

Die Bedeutung dieser länderübergreifenden Zusammenarbeit wurde Anfang Februar 2023 auch für die breitere Öffentlichkeit sichtbar. Im übervollen Vortragssaal in der Park-Villa Rieter des Museums Rietberg wurde der Schlussbericht des Projekts an eine zehnköpfige Delegation aus Nigeria übergeben. Ein historischer Moment, raunte es in den Reihen der Anwesenden. Eine zentrale Erkenntnis der Forschungsarbeit: Rund die Hälfte der 100 Benin-Objekte in Schweizer Museen wurde sicher oder wahrscheinlich geraubt.

Die Beteiligten der Initiative verabschiedeten eine gemeinsame Erklärung zum künftigen Umgang mit den Objekten. Die Museen zeigen sich etwa offen dafür, dass die früheren Besitzer:innen die geplünderten Gegenstände als Eigentum übernehmen. «Das kann bedeuten, dass Objekte aus der Schweiz wieder nach Nigeria zurückkehren», sagt Michaela Oberhofer. Die Werke könnten aber auch als Leihgaben in Schweizer Museen bleiben. Das BAK finanziert das Projekt ein weiteres Jahr, um die kollaborative Forschung, aber auch die gemeinsame Vermittlung in Ausstellung zu stärken.

Zudem soll die Zusammenarbeit von Museen mit umstrittenen Sammlungen gestärkt werden. Allerdings gibt es in den USA durchaus Stimmen, die sich gegen eine allfällige Rückgabe aussprechen: Nachfahr:innen versklavter Menschen aus Nigeria meldeten schon vor Jahren ein Anrecht auf Miteigentümerschaft an den Benin-Bronzen an. Sie begründen dies mit einem kritischen Blick auf das Königreich von Benin, das selbst am transatlantischen Versklavungshandel beteiligt gewesen sei. Die weltweit bewunderten Bronzen seien aus europäischen Metallen gegossen worden – einem Material, das von portugiesischen und später anderen europäischen Händlern gegen Sklav:innen eingetauscht worden sei.

Wo auch immer die Benin-Objekte in Zukunft zu sehen sein werden: Mit der formellen Übergabe des Berichts, der entsprechenden Medienberichterstattung und der aktuellen Ausstellung «Wege der Kunst» im Museum Rietberg trugen die beteiligten Institutionen wichtige Fragen in die Öffentlichkeit und informierten über Provenienzforschung als Beitrag zur Dekolonisierung von Museen.

Kuratiert wurde «Wege der Kunst» unter anderem von Esther Tisa Francini, die im Museum Rietberg für das Schriftenarchiv und die Provenienzforschung zuständig ist. Sie befasst sich seit 2008 mit der Sammlungsgeschichte des Museums und leitet die Benin Initiative Schweiz mit. Ein Gespräch über die Frage, wie sich kolonialer Kontext in der Ausstellung vermitteln lässt.

KF: Dokumente der Benin Initiative Schweiz (BIS) sind auch in der aktuellen Ausstellung «Wege der Kunst» präsent. Worum geht es da?

ET: Wir erzählen die Geschichten, die sich hinter den Objekten verbergen und die bis heute noch nie erzählt wurden. Dies tun wir auf umfassende Weise. Ursprünglich war «Wege der Kunst» als separate Sonderausstellung gedacht, aber wir haben uns für ein anderes Konzept entschieden. Wir wollten diese Geschichten anhand repräsentativ ausgewählter Beispiele in unserer Sammlungspräsentation erzählen. Deshalb geben wir ihnen einen Platz in unserer Dauerausstellung, wo sie im Dialog mit den Sammlungen stehen.

Wir wollten weg von einer auf die Ästhetik fokussierten Präsentation der Objekte, hin zu neuen, multiperspektivischen Museumsnarrativen. Indem wir den Kontext der Provenienz mit vermitteln, erhält die Präsentation eine neue Dimension. Wir hinterfragen, wer wir sind und was wir machen, zeigen also auch die Geschichte unserer Institution. Künftig möchten wir ergänzende Perspektiven aus den Herkunftsländern stärker integrieren.

Ist das nicht etwas viel Information? Warum ist es Ihnen wichtig, dass das breite Publikum derart umfassendes Kontextwissen mitnimmt?

Ich glaube, Museen werden als etwas Statisches wahrgenommen und Sammlungen als geschlossene Einheiten. Das vermittelt ein falsches Bild. Das möchten wir ergänzen und erneuern und zeigen, wie vielfältig und global verflochten etwa die Stadt Zürich und ihre Akteur:innen sind. Es ist interessant, genauer hinzuschauen und zu erfahren, warum diese Objekte hier sind und welche Mechanismen dahinterstecken. Nicht nur Museen haben koloniale Sammlungen, sondern auch Familien und Firmen. Die Frage, inwiefern kolonialen Strukturen bis heute nachwirken, betrifft also die ganze Gesellschaft. Die Ausstellung soll zum Nachdenken anregen, für historische Fragen sensibilisieren und den Horizont erweitern.

Das klingt anspruchsvoll. Wie schwierig war es, diesen Kontext in bestehende Räume zu integrieren?

Die Interventionen verlangtem vom gesamten Kuratorium eine umfassende und gemeinschaftliche Planung. Die ausgewählten Objekte wollten wir nicht mehr isoliert auf dem Sockel zeigen, sondern in Verbindung mit Quellen, mit den Archivalien, die sonst nebenher gelesen werden: Fotografien, Texte, Kaufbelege, Briefe etc. Sehr sorgfältig geplant, auch in der Gestaltung und Architektur, war die Präsentationsweise innerhalb der Sammlungen.

Wir haben uns für grosse modulartige Vitrinen entschieden, die flexibel die unterschiedlichsten Objekttypen vereinen konnten, stellenweise Durchblick gewähren und sich gut in die Räume der Sammlungen einfügen. Es hat viele Stationen, Exponate, Geschichten und Texte, wir bieten eine nachhaltige und langfristige Auseinandersetzung an. Die Ausstellung kann auch in mehreren Etappen besucht werden, die Geschichten und Module sind in sich geschlossen und man kann sich gut vereinzelt darin vertiefen. Die Ausstellung wurde zuerst auf ein Jahr angesetzt, mittlerweile haben wir nochmals um ein Dreivierteljahr verlängert.

Sie haben auch ein auf Kinder zugeschnittenes Angebot. Das jüngste Publikum ist oft noch wenig vertraut mit der Museumswelt. Was möchten Sie ihm mit auf den Weg geben?

Wir möchten das Bewusstsein wecken, dass die Objekte unserer Sammlung nicht einfach immer schon da waren und dass man diese Wege nachzeichnen kann. Den Blick dafür schärfen, dass Kunstschaffen sehr unterschiedliche Facetten haben kann, und vor Augen führen, dass es Spuren gibt, die man lesen kann und verschiedene Menschen und Motivationen hinter der Verbringung der Werke ins Museum stecken.

Wie waren die Reaktionen bisher auf die Ausstellung?

Wir haben tolles Feedback auch aus der Fachwelt bekommen. Und das Publikum hat im Schlussraum der Ausstellung mit Sitzecke und kleiner Bibliothek die Möglichkeit, konkret Rückmeldungen zu geben, ihre Reaktionen und Überlegungen zu hinterlassen. «Kultur ist viel mehr als der europäische Blick», war da unter anderem zu lesen. Oder es wurde die Frage der Restitution gestellt. Wir schätzen dieses Feedback. Ein Teil der Post-its ist auf der Website einsehbar. Diese Rückmeldungen nehmen wir mit in die Arbeit an künftigen Ausstellungen.

Autorin: Katharina Flieger