Bernard Fibicher, Tatyana Franck und Chantal Prod’Hom haben mit uns über den Hintergrund des Projektes Plateforme 10 gesprochen.
Das Musée cantonal des Beaux-Arts (MCBA) in Lausanne öffnete am 5. Oktober 2019 auf dem Gelände des ehemaligen Lokomotivendepots der SBB das neue, von den Architekten Barozzi und Veiga entworfene und Plateforme 10 getaufte Gebäude. Ende 2021 werden an diesem Standort mit seinen 22.000 Quadratmetern auch das Musée de l’Elysée und das mudac – musée de design et d’arts appliqués contemporains Einzug halten. Eröffnet wird das hierfür nach dem Entwurf des Studios Aires Mateus im Bau befindliche Gebäude dann in der ersten Jahreshälfte 2022. Wir haben Bernard Fibicher vom MCBA, Tatyana Franck vom Musée de l’Elysée und Chantal Prod’Hom vom mudac virtuell getroffen, wie man es in Zeiten von COVID-19 eben tut, um über dieses wunderbare Projekt eines gemeinsam geschaffenen Museumsquartiers zu sprechen und die Herausforderungen und Probleme aufzuzeigen, die mit dem Umzug ihrer Institutionen an diesen Ort einhergehen. Ein Umzug, den eines der Museen bereits vollzogen hat, während die beiden anderen ihn noch angehen müssen.
Bernard Fibicher, welche Herausforderungen gingen für Sie mit dem Umzug des MCBA einher?
Bernard Fibicher: Für mich gab es zwei Herausforderungen: den Umzug unter idealen Bedingungen durchführen, damit die Werke in perfektem Zustand in die Depots des neuen Museums gelangen, und die Übersiedlung für die gesamte Sammlung organisieren. Dazu war eine genaue und kontrollierte Inventur nötig. Aus diesem Grund haben wir das Museum ein Jahr lang geschlossen und eine umfangreiche Bestandsaufnahme von jedem Stück gemacht, auch von denen, die in verschiedenen Räumen des Kantons Waadt aufbewahrt werden. Wir sind die gesamte Sammlung durchgegangen (11.000 Stücke), haben eine beinahe vollständige Fotokampagne und ein Programm zur Restaurierung und Neurahmung durchgeführt. Diese enormen sorgfältigen Vorbereitungsarbeiten haben nicht nur die Konservatoren, sondern auch die Registrare und Techniker eineinhalb Jahre lang voll beschäftigt.
Und für Sie, Tatyana Franck und Chantal Prod’Hom? Welche Hindernisse sehen Sie für Ihre Institutionen vorher?
Tatyana Franck: Die Problematik eines Museums der Fotografie ist natürlich eine ganz andere als die eines Museums der schönen Künste oder des Designs. Sein Grundstock ist sehr wichtig, denn es verwaltet komplette fotografische Bestände, also nicht nur Abzüge, sondern auch Negative, Alben, die Korrespondenz von insgesamt etwa 100.000 Werken. Da haben wir nun nach fünfunddreissig Jahren die aussergewöhnliche Gelegenheit, grosse Arbeiten an den Kollektionen vorzunehmen, die auch nicht aufhören werden, sobald das Museum im neuen Gebäude eröffnet ist. Wir müssen inventarisieren, katalogisieren, digitalisieren. Wir haben im Mai 2019 damit begonnen, und die Sammlungen sind seither geschlossen. Im Januar 2023 werden wir unsere Pforten wieder öffnen. Jedes Museum hat seine besonderen Eigenheiten.
Chantal Prod’Hom: Wir setzen uns oft gemeinsam über unsere Probleme auseinander, haben aber kein Einheitsrezept, das wir auf alle drei Institutionen anwenden können. In Gegensatz zum MCBA und zum Elysée sind unsere Sammlungen nicht so umfangreich – es sind etwa 3000 Stücke. Wir haben unser Augenmerk und unsere Aktivitäten seit 2000 stark auf die Dynamik der temporären Ausstellungen gerichtet – im Durchschnitt 5,8 Ausstellungen pro Jahr – und auf die zeitgenössischen Arbeiten. Wenn es um den Umzug geht, dann stellt die Verschiedenheit der Sammlungen unseres Museums für Design das grösste Problem dar: Es gibt alle Arten von Materialien, Formaten, dreidimensionalen Objekten. Besonders komplex ist daher für die Sammlungen des mudac, mit dem Volumen zurechtzukommen. Eine Herausforderung wird es sein, die Kollektion der Glaskunst einzupacken. Auch wir haben in den letzten Jahren Inventur gemacht, während die Fotokampagne und die Überprüfung noch abgeschlossen werden müssen. Dabei ist es auch ganz wichtig, nach aussen zu vermitteln, welche Arbeiten während der Schliessung des Museums durchgeführt werden. Dem Publikum zu erklären, was hinter den Kulissen abläuft, wie es Bernard Fibicher mit seinen Videoclips getan hat, die auf der Website des Museums zu sehen sind.
Bernard Fibicher, Ihre Erfahrungen mit dem Umzug sind für Ihre beiden Kolleginnen sicher sehr wertvoll. Welchen Rat geben Sie ihnen?
BF: In der Tat. Wir treffen uns regelmässig und haben die Teams des Elysée und des mudac in unsere Depots eingeladen. Am schwierigsten ist es, in den Lagern ein stabiles Klima herzustellen. Wir haben gesehen, dass es mindestens ein Jahr dauert, bis Temperatur und Luftfeuchtigkeit sich stabilisieren. Für noch empfindlichere Werke wie Fotografien dauert es noch länger. Ich habe meinen Kolleginnen ausserdem von den Verspätungen beim Bau der Infrastrukturen erzählt und auf die Notwendigkeit hingewiesen, sich vorher mit allen Fachleuten abzusprechen, damit man keine Überraschungen erleben muss.
TF: Für uns ist es wirklich ein Glück, dass wir auf Bernards wertvolle Ratschläge zählen und von seiner Erfahrung profitieren können. Danke, Bernard!
CP: Wir hatten schon zahlreiche Treffen und vor allem eine Sitzung des technischen Teams von Bernard Fibicher mit dem unseren, um zu verstehen, was funktioniert hat und was nicht. Wir haben also noch die Möglichkeit, einzugreifen und Dinge zu ändern.
Konnten Sie selbst auf Expertenrat zählen, Bernard Fibicher? Zum Beispiel auf den von Dieter Bogner, der das Konzept des MuseumsQuartiers in Wien entwickelt hat?
BF: Oh ja, Dieter Bogner war eine grosse Hilfe, als es um die Verteilung der Funktionen in einem Museum ging. Um ein einfaches Beispiel zu nennen: Wo bewahrt man an einem Regentag die Regenschirme der Besucher auf? Er weiss genau, wie ein Museum funktioniert, aber er ist kein Spezialist auf dem Gebiet der Lagerung von Werken und der Konservation.
Konnten Sie in diesen Fragen der präventiven Konservation Beratung in Anspruch nehmen?
BF: Wir haben vor allem im Bereich der Infrastruktur mit Fachleuten gearbeitet, besonders mit dem Spezialisten Joachim Huber vom Büro Prevart; ich glaube, er ist einer der wenigen in der Schweiz.
TF: Es gibt tatsächlich wenige Fachleute, wie Bernard Fibicher schon sagte. Deshalb haben wir einen Pool für präventive Konservation und Restaurierung für unsere Institution geschaffen. Seit sechs Jahren arbeitet eine Spezialistin in präventiver Konservation bei uns. Wir möchten wirklich gern zu einem bedeutenden Kompetenzzentrum werden, in Anbetracht des wertvollen Bestandes, den wir zu verwalten haben.
BF: Für uns war der Informationsaustausch mit Museen, die so etwas schon durchgemacht haben, wirklich wichtig. Deshalb haben wir auch den Restaurator angestellt, der für den Umzug des Museums von Aarau in das neue Gebäude von Herzog & de Meuron verantwortlich gezeichnet hat. Er selbst war in Kontakt mit Kollegen aus Basel, Zürich und Genf. Dieser Informationsaustausch zwischen Spezialisten und Kollegen ist enorm wertvoll.
Wird die Vereinigung Ihrer drei Institutionen an einem Ort die Arbeit an gemeinsamen Grossprojekten begünstigen?
TF: Was wir gerade mit Plateforme 10 zu schaffen beginnen, ist einzigartig. Die Stärke des Projekts liegt darin, dass wir drei spezialisierte Museen sind, deren Disziplinen sich ergänzen und die die Möglichkeit zur Kooperation haben. Wir möchten regelmässig gemeinschaftliche thematische oder monografische Ausstellungen organisieren, zu denen wir uns gemeinsam Gedanken machen, so dass jeder seinen Blickwinkel einbringen und entwickeln kann. Im Juni 2022 wird Plateforme 10 mit einer Ausstellung eröffnen, die von den drei Institutionen gemeinsam getragen wird.
CP: Das ist unsere Besonderheit und unsere Trumpfkarte: drei Institutionen, drei verschiedene Geschichten, drei vollkommen unterschiedliche Sammlungen. Wir müssen den Leuten zeigen, warum es so interessant ist, dass wir uns an einem Standort zusammentun: Unsere Disziplinen ergänzen sich perfekt.
BF: Wir haben tatsächlich ein grosses Potential, sowohl was Austausch bei den Dienstleistungen betrifft als auch auf der Ebene der Kompetenzen.
TF: Es entwickeln sich Synergien. So wird es im Gebäude Elysée/mudac zum Beispiel eine Bibliothek geben, ein Dokumentationszentrum, in dem man die Bücher an Ort und Stelle konsultieren kann. Das Musée de l’Elysée hat eine bedeutende Sammlung an Publikationen der Fotografie und einige als Objekte konzipierte Bücher. Da ist die Ergänzung mit einem Museum des Designs besonders stimulierend, denn es gibt viele Verlage, die Kunstbücher durch eine Partnerschaft zwischen Fotograf, Designer und Schriftsteller schaffen. Diese Objekte werden zusammen mit den Modellen der Originale in Schaukästen ausgestellt werden, so dass man den kreativen Prozess des Künstlers nachvollziehen kann. In der Eingangshalle werden wir gemeinsam mit dem mudac auch einen Gastronomiebereich haben, und dort wird der Dialog zwischen Design und Fotografie recht interessant werden. Synergien sind also nicht nur bei der Programmgestaltung möglich, sondern auch als Austausch von Kompetenzen zwischen den Teams.
CP: Fünf Jahre lang haben wir bei unseren Treffen des Vorstands, dessen Vorsitzende ich war, eng zusammengearbeitet. Mein Mandat lief im Februar aus. Nun treffen sich unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, mit ihren jeweiligen Besonderheiten, in Arbeitsgruppen zur Kommunikation, Kulturvermittlung, Verwaltung, Konservation.
Und was die Besucherinnen und Besucher betrifft?
TF: Die Kunstschaffenden und das Publikum stehen im Zentrum unserer täglichen Anstrengungen. Für die Besucherinnen und Besucher haben wir die Idee, einen Rundgang anzubieten, der im MCBA beginnt, das voraussichtlich schön früher öffnet, und dann weitergeht mit dem Elysée und dem mudac, in einem konzertierten und sich ergänzenden Angebot. Die Esplanade bietet Veranstaltungen im Freien. Es wird immer etwas zu entdecken und zu sehen geben!
BF: Wir bieten den Besuchern natürlich auch Vergünstigungen: An der gemeinsamen Kasse gibt es ein Ticket für alle drei Museen zusammen. Der lokale Besucher kommt eher für eine besondere Ausstellung in einem der Museen, während die von fern Angereisten mehrere Ausstellungen und Museen besuchen können. Wir werden hier einen einzigartigen Anziehungspunkt für die gesamte Schweiz bilden.
Gibt es in der Schweiz schon etwas Ähnliches? Zum Beispiel das 2015 eingeweihte LAC Lugano?
CP: Wirklich interessant ist am LAC Lugano, wie der öffentliche Platz verwendet wird. Michel Gagnon ist es gelungen, diesen Raum dynamisch zu gestalten. Da kann man eine Menge lernen.
Und in Europa? Wie sieht es mit dem MuseumsQuartier in Wien aus, das in den 1990er Jahren entstand?
BF: Das MuseumsQuartier in Wien ist ganz anders. Es hat eine eigene Marke, das «MQ», doch die drei Museen haben nie kooperiert, obwohl sie sich denselben Standort teilen.
Gibt es in Asien ähnliche Initiativen?
TF: Nein, auch dort gibt es nirgends diese Synergie zwischen drei Museen, mit diesem Willen, ein gemeinschaftliches Projekt zu schaffen.
CP: Wie Tatyana Franck schon sagt, gibt es diese Arbeit an einer von mehreren geschaffenen Identität nirgends sonst. Soweit ich weiss, handelt es sich höchstens um individuelle und private Initiativen. Was unsere drei Museen betrifft, möchten wir unsere Identität, unser Logo, unser Savoir-faire mit all unseren Unterschieden bewahren. Wir möchten eine reiche und komplementäre Programmgestaltung bieten. Und es wird interessant, zu sehen, wie sich diese Identität von Plateforme 10 auf Dauer herausbildet und den starken Identitäten jeder einzelnen Institution Rechnung trägt. Ein Museumsviertel für die Kultur wird aus dem Nichts aufgebaut – das ist bahnbrechend!
Autor: Laure Eynard, Historikerin, Doktor in Kunstgeschichte