Teilhaben und mitwirken – Die Museen im Wandel

Rückblick zum Jahreskongress der Museen der Schweiz 2022 vom 1. und 2. September 2022 im Espace Gruyère in Bulle

Durch einen glücklichen Zufall wurde der Jahreskongress, der sich der Teilhabe und der Mitwirkung des Publikums widmete, nur einige Tage nach der Neufassung der Museumsdefinition eröffnet, für die auf der 26. Generalversammlung von ICOM International am vergangenen 24. August in Prag abgestimmt wurde. «Barrierefrei und inklusiv, Diversität und Nachhaltigkeit fördernd», soll das Museum «mit Teilhabe der verschiedenen Gemeinschaften» agieren und sich so als unverzichtbarer Ort der kulturellen Inklusion definieren. Ein Perspektivenwechsel ist nötig, das ist die heute dominierende Erfahrung mit dem konservierten Kulturerbe. Die Zunahme der Aktivitäten mit Teilhabe und Inklusion bestätigt, was viele Museen bereits praktizieren: Das Publikum muss in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen gestellt werden.

Die kulturelle Teilhabe, ein neues Thema

Als Eckpfeiler, in dem Konservation des Kulturgutes und menschliche Aktivität konvergieren, wird das Museum auf jeden Fall als bedeutender Ort für Bildung und Teilhabe anerkannt. Doch erst seit 2016 zeichnet sich die Praxis der Teilhabe als strategische Achse in der schweizerischen Kulturpolitik ab, indem sie zur Konfrontation ermuntert und Wege aufweist, wie ein besseres Zusammenleben in einer Gesellschaft möglich ist, die immer vielfältiger wird. Im Dienst einer Gesellschaft, in der seine Stimme Gewicht hatte, sah man das Museum bis vor kurzem als den einzigen Akteur an, der eine Botschaft senden konnte, die Beachtung verdiente. Jetzt steht die Einbeziehung des Publikums im Vordergrund.

Was hat sich geändert?

Die von den partizipativen Aktivitäten hervorgerufene Revolution liegt darin, dass sich alle Bewegung ab jetzt entschieden nach aussen wendet. Das Museum trifft nun auf ein Publikum, das nicht unbedingt das seine ist. Es stützt sich auf seine Sammlungen und Spezifitäten als solide Grundlage seines Rüstzeugs und bewegt sich symbolisch und sogar physisch auf die anderen zu. Es geht Risiken ein und wagt sich freiwillig in Prozesse, von denen es akzeptiert, dass es sie nicht ganz unter Kontrolle haben wird. Vom enzyklopädischen Museum, einem einschüchternden Tempel des Wissens, in dem die ehrwürdigen Treppen von Besucher:innen erklommen wurden, die es weiterzubilden und zu erziehen galt, gehen wir nun zu einer umgekehrten Bewegung über und machen uns daran, auf Fragen zu antworten, die sich jedes Museum stellt: Wie kriegen wir es hin, dass Menschen kommen, die noch nie einen Fuss in unser Haus gesetzt haben? Wie schaffen wir Verbundenheit? Wenn die Teilhabe mit weiteren Funktionen des Museums koexistiert – Vergnügen, Entspannung, Entdeckung –, ist dies der Beweis für eine Geisteshaltung, die jeden und jede davon überzeugt, dass unter dem, was das Museum zu bieten hat, auch für ihn oder sie etwas dabei ist.

Das Vorbild der wissenschaftlichen Museen

Die Einbeziehung des Publikums in wissenschaftliche Projekte erfreut sich einer längeren Tradition. Der Bereich der Naturwissenschaften besitzt den Vorteil, eine sehr ursprüngliche Verbindung zu uns zu schaffen – durch die Welt, die uns umgibt. Das erste Museum, das wir als Kind besuchen, ist in den meisten Fällen ein Museum der Naturwissenschaften. Da sie schon länger Praxiserfahrungen in Teilhabe gesammelt haben, können uns die wissenschaftlichen Institutionen einiges beibringen. In den naturwissenschaftlichen Museen ist es nämlich üblich, auf den Beitrag von aufgeklärten und leidenschaftlichen, an dem jeweiligen Thema interessierten Menschen zu zählen, die aber keine Fachleute sind. Um die Schwierigkeiten zu überwinden, die die Sammlung einer großen Anzahl von Daten mit sich bringt, appellieren die wissenschaftlichen Institutionen an das Publikum, sich an Zählungen und direkten Beobachtungen zu beteiligen. Diese Zusammenarbeit bringt Früchte und erlaubt es, Studien durchzuführen, die die Fachleute im akademischen Milieu allein nicht erreichen könnten. Die wissenschaftlichen Museen haben keine Komplexe und bitten ganz ungehemmt um die Hilfe der Bevölkerung, die sich dadurch stark aufgewertet und motiviert fühlt. Da der Dienst, den das Publikum leistet, objektiv und quantifizierbar ist, scheint es ganz selbstverständlich, auf eine partizipative Methode zurückzugreifen. Die Projekte der Citizen science gehen in diese Richtung und wirken als wahre Brutstätten für Veränderungen im Ansatz der Museen. Die Schlüssel zum Erfolg dieser Operationen können an alle Arten von Institutionen angepasst werden. Sie bestehen darin, die Teilhabe an einem Projekt und seinen Herausforderungen zu bieten, transparent zu sein in Bezug auf das erwartete Resultat und dem Publikum Feedback zu liefern und Dankbarkeit zu zeigen.

Den Museumsbetrieb neu überdenken, neue berufliche Profile erfinden

Die Teilhabe hat nicht nur den Effekt, das Museum nach aussen zu öffnen. Sie hat auch starke Wirkung auf die internen Prozesse der Institution. Trennwände einzureissen kann anspruchsvoll sein, und nicht alle Projekte sind erfolgreich. Die lange Zeitdauer der angesprochenen Fälle bringt uns dazu, einige wichtige Fragen zu stellen: Warum wollen wir eine partizipative Aktion organisieren, wie wollen wir es tun, und zu welchem Zweck? Die Beispiele zeigen uns, dass es wichtig ist, vorbereitende Tests durchzuführen und auf die Einfachheit der Mittel zu achten, die wir einsetzen. Wir müssen eingestehen, dass wir jeden Tag eine neue Facette unseres Museums entdecken – Teilhabe ist ein Mittel, sich selbst besser kennenzulernen… ob als Individuum oder als Museumsinstitution! Doch die neuen partizipativen Methoden benötigen bedeutende Investitionen an Zeit und zeigen die Grenzen des Museumspersonals auf. Sie decken nämlich auf, wie veraltet die strengen hierarchischen Strukturen oft noch sind, und wie unfähig, ihre Vorgehensweisen in Frage zu stellen. Was den Museumsbetrieb angeht, sollten die Geschäftsführungen von einer vertikalen hierarchischen Struktur umstellen auf ein eher transversales Management, in dem die Meinungen aller gehört werden. Ebenso wie ein Museum nicht mehr den Anspruch erheben kann, ein Wissen zu verbreiten, das in seinem alleinigen Besitz ist, sollte es heute auch den Rückmeldungen seiner Teams Beachtung schenken. Die Meinung des Publikums zu berücksichtigen setzt voraus, dass wir dasselbe auch mit der Meinung unserer Kolleg:innen tun – auch wenn das bedeutet, schwierige Entscheidungen zu treffen. Teilhabe verlangt nach Flexibilität, einem langen Atem, einer Neugier auf die anderen. Dies sind auch die Vorzüge der neuen beruflichen Profile, denen es gelingt, sich nützliche Erweiterungen der traditionellen Abteilungen vorzustellen. Dabei werden die jungen Generationen und ihre Kompetenzen als digital natives von Vorteil sein. Dasselbe gilt für jene Berufe, deren Expertise in technologischen, rechtlichen oder ethischen Fragen hilfreich sein wird, wenn es um soziale Befragungen geht, die sich uns in den partizipativen Prozessen mit voller Wucht nähern. Wenn ein Museum sich zu einem Ort des Wandels entwickeln möchte, zu einer gesellschaftlichen Bühne, auf der sich die Menschen begegnen, dann muss es diese Diversität auch in seinem Team durchsetzen. Diese transversalen Kompetenzen sollten dabei auch in der musealen Ausbildung zum Tragen kommen.

Welche Auswirkungen auf den Betrieb der Museen?

Die Möglichkeit des Wandels erahnen zu lassen – was den Auftakt jeder gesellschaftlichen Veränderung darstellt – zeichnet sich als der grosse Vorteil der Teilhabe ab. Die beim Kongress vorgestellten Beispiele zeigen, wie sehr die Ehrlichkeit des Ansatzes zum Erfolg beiträgt. Die Menschen spüren diese Offenheit sofort und würdigen sie, indem sie bereit sind, am Abenteuer teilzunehmen. Sich stets wie in einem Mantra an den Ausspruch «Museums seem to be about objects but are really about people» zu erinnern, öffnet den Weg zum gegenseitigen Verstehen und zur Teilhabe. Das oft noch langweilige oder elitäre Bild von Museen kann so dank dieser neuen Geisteshaltung weggefegt werden.

Fabienne Aellen