Die Schweizer Museumszeitschrift

Museumszeitschrift Nr. 14

Die Revue der Verbände VMS und ICOM Schweiz hat einen tüchtigen Wandel erfahren – schlanker, bunter und aktueller ist sie geworden.

Museumszeitschrift Nr. 14

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Die Schweizer Museumszeitschrift ist das Magazin für die Mitglieder von VMS und ICOM Schweiz. Sie informiert über die Aktivitäten der Verbände und die aktuelle Kulturpolitik, stellt ausgewählte Fachliteratur vor und wirft in Bildstrecken einen Blick hinter die Kulissen der Museen in der Schweiz. Die Zeitschrift erscheint zweimal jährlich in einer mehrsprachigen Ausgabe. Die wichtigsten Artikel sind in ihren Übersetzungen auf museums.ch verfügbar.

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Übersetzungen

Glokal – wem gehört das Museum?

Vor dem Fenster Geranien aus Afrika, einheimische Igel im Zoo: Das Globale und das Lokale stehen in einer komplexen Wechselbeziehung und in regem Austausch. Deshalb widmete sich der diesjährige Jahreskongress des VMS und des ICOM Schweiz, der am 22. August in St. Gallen stattfand, dem Glokalen. Die Beiträge deckten überraschende Verbindungen auf und zeigten neue Perspektiven.

In einer globalisierten Welt mit heterogenen Bevölkerungen und internationalem Wettbewerb unter Museen stellen wir uns drängende Fragen: Wie bleiben Museen für ihr Publikum relevant? Wer ist dieses Publikum überhaupt? Wenn Museumsbesucherinnen und -besucher nur aus ausgewählten Schichten oder Gruppen fortgeschrittenen Alters stammen, dann repräsentieren sie nicht die vielfältige Bevölkerung. Damit geraten Museen in eine Sackgasse. Wie sollen sich Menschen für ein Museum interessieren, wenn sich das Museum nicht für die Menschen interessiert? Inspirierend sind Museen, die angesichts dieser Herausforderungen den Weg der Partizipation wählen. Museen, die Ausstellungen und Aktivitäten nicht für ihr Publikum, sondern mit ihrem Publikum entwickeln. Diese Museen öffnen sich und bieten die Gelegenheit, Interessen und Wissen auf Augenhöhe einzubringen und zu teilen. Nur wenn Menschen aus einer Community nachhaltig und sinnvoll einbezogen werden, sind sie durch das Museum auch wirklich repräsentiert.

Der Begriff «glokal» (S. 26) wurde von der ehemaligen Schweizer ICOM-Präsidentin, Madeleine Schuppli, ins Spiel gebracht. Helen Bieri Thomson, Katharina Epprecht und ich haben den Ball gerne aufgenommen und das Programm für den Jahreskongress 2019 entwickelt. Dabei war uns bewusst, dass auch die Frage der Restitution zum Themenkreis des Glokalen gehört. Angesichts der Tragweite erschien es uns jedoch sinnvoll, diesem Aspekt eine eigene Tagung zu widmen. So haben wir zwei Schwerpunkte definiert: Partizipation mit Fokus auf das Museumsumfeld und kulturelle Transformation mit Fokus auf Sammlungen – eine reichhaltige Mischung, wie die nachfolgend zusammengefassten Beiträge zeigen.

«Many histories and shared future»

Die Besucherinnen und Besucher schauen auf ihre Smartphones – was wie der Albtraum eines klassischen Museums klingen mag, ist im Brooklyn Museum erwünscht. Mit der App «ASK Brooklyn Museum» werden die Gäste ermuntert, Fragen zur Ausstellung über das Smartphone zu stellen. Das Museumsteam beantwortet diese unmittelbar. Dr. Sharon Matt Atkins, Direktorin für Ausstellungen und strategische Initiativen am Brooklyn Museum, erzählte am Kongress, wie ihre Institution Partizipation umsetzt. Über die Jahre habe sich das Kunstmuseum mutig auf zahlreiche Experimente eingelassen und das vielfältige Umfeld des New Yorker Stadtteils Brooklyn miteinbezogen. Alle Initiativen stützten sich auf eine klare Mission – «To create inspiring encounters with art that expand the ways we see ourselves, the world and its possibilities» – und definierten Werte wie «Many histories and shared future». Was Sharon Matt Atkins hervorhob: Bevor ein Museum neue Gruppen anspreche, müsse es diese überhaupt kennen. Der Einbezug der lokalen Bevölkerung gehe dabei jedoch nicht auf Kosten der internationalen Gäste. Damit schafft das Brooklyn Museum dynamisch und erfolgreich den Spagat zwischen zwei Zielgruppen. Eine Bereicherung für alle, denn auch das Museum kann sich so weiterentwickeln, vorausgesetzt, es hört gut hin – «Listening» war denn auch ein Schlüsselwort dieser Präsentation.

«Exposition pas prévue»

Anne-Claire Schumacher, leitende Kuratorin am Ariana Museum in Genf, stellte das Projekt «Blue Sky» vor. Drei jugendliche Asylsuchende aus nichteuropäischen Herkunftsländern wurden eingeladen, sich intensiv mit dem Museum auseinanderzusetzen. Interessanterweise gelang der Anschluss über ausgestellte Keramikobjekte in der Farbe Kobaltblau; diese blaue Glasur ist weltweit verbreitet. Überraschend für die Kuratorin und den involvierten Künstler kam der Wunsch der Jugendlichen, eigene keramische Arbeiten herzustellen und sie in die permanente Ausstellung zu integrieren. Damit hinterliess das Projekt Spuren, die für alle Museumsgäste sichtbar wurden. Und einer der Jugendlichen entschied sich im Nachgang gar für eine Ausbildung zum Töpfer. Das Projekt zeigt, wie eine ergebnisoffene Herangehensweise Wirkung zu entfalten vermag.

«Piccolo grande mondo»

So klein das Museum des Verzascatals auch sein mag, so gross ist seine Wirkung. Früher waren die Gäste vorwiegend Touristinnen und Touristen. Weil die Talbevölkerung nicht ins Museum kam, initiierte die Kuratorin Veronica Carmine das Projekt «Senti questa!».

Damit lud sie die Bevölkerung zu neun Treffen in unterschiedlichen Restaurants im ganzen Tal ein unter der Bedingung, ein Objekt, Dokumente oder Fotos und persönliche Geschichten mitzubringen. Als das Museum anschliessend das über einen Monat Gesammelte ausstellte, kamen auch die Einheimischen ins Museum – schliesslich wurde es so zu ihrem Museum mit ihren Geschichten.

«Das Museum braucht die Geflüchteten mehr, als diese das Museum brauchen»

Seit letztem Frühling bieten Menschen mit Fluchterfahrung Führungen durch das Bernische Historische Museum an. Aline Minder, Leiterin Bildung & Vermittlung, und Annemarie Sancar, Sozialanthropologin und Projektinitiantin, präsentierten das Projekt «Multaka» in fünf Thesen. Eine davon: «Das Museum braucht die Geflüchteten mehr, als diese das Museum brauchen.» Das interaktive Format war ursprünglich ein Kooperationsprojekt von fünf Berliner Museen und findet nun international in weiteren Museen Verbreitung. Es ist adaptierbar und skalierbar für kleinere und grössere Häuser. Die Geflüchteten bekommen eine neue Aufgabe, das Publikum eine überraschende Führung und auch das Bernische Historische Museum profitiert – so tut etwa dem bekannten Ausstellungssaal, der «den Orient» als Projektionsfläche aus europäischer Warte zeigt, ein Blick von aussen ganz gut.

Kulturelle Transformation: Sammlungen mit Migrationshintergrund

Der zweite Schwerpunkt der Tagung lag auf dem Prozess kultureller Transformation. Überregionale Vernetzung beeinflusst das Leben der Menschen seit prähistorischen Zeiten. Was wir als Träger und prägende Exponenten einer Kulturregion verstehen, basiert oft auf Wanderbewegungen und kulturellem Austausch. Hinter manchem lokalen Kulturerzeugnis steckt eine unerwartete Migrationsgeschichte. Die ursprüngliche kulturelle Zugehörigkeit von Artefakten und deren stilistisch-formalen Merkmalen können durch mehrmalige Transformation oder Vereinnahmung so weit assimiliert worden sein, dass sie als typisch lokales Phänomen missverstanden werden. Kulturelle Transformation beschreibt einen Prozess der wechselseitigen Beeinflussung und Vermischung, der neue Erkenntnisse und ästhetische Vorlieben hervorbringt. So sind die vermeintlich «typischen» Repräsentanten des Lokalen oftmals Produkte globaler Transformationsprozesse. Am Nachmittag wurden ausgewählte Beispiele vorgestellt, die derartige Missverständnisse aufdeckten.

«Wir sind alles Wanderer auf einem Weg durch die Jahrhunderte»

Strasse und Feld statt Haus und Herd. Migration statt Verwurzelung. Keine chronologische, sondern thematische Präsentationen. Weglassen statt Fülle. Dr. Matthias Wemhoff, Direktor des Museums für Vor- und Frühgeschichte zu Berlin, erläuterte bildhaft, wie er mit den Regeln einer archäologischen Ausstellung gebrochen hat. Mit diesem Perspektivenwechsel wird aus vermeintlicher Heimatgeschichte eine europäische Geschichte mit starkem Bezug zur Gegenwart. Exemplarisch zeigte dies «Bewegte Zeiten», die Ausstellung aller deutschen Landesarchäologen, die anlässlich des Europäischen Kulturerbejahres 2018 in Berlin stattfand. Rückmeldungen zeigten, dass Fachleute und das museumsgewohnte Publikum mit diesem Bruch von traditionellen Denkmustern etwas Mühe bekundeten – ganz anders als Neulinge im Museum.

«Eingewandert, eingebürgert, eingeschweizert, globalisiert»

Wer kennt sie nicht – die idyllischen Schweizer Chalets mit farbenfrohen Geranien vor den Fenstern. Doch hinter der scheinbar so heimatlichen Pflanze steckt eine Migrationsgeschichte. Das Geranium wanderte als exotische Pflanze im 17. Jahrhundert nach Europa ein und hatte in der Schweiz im 19. Jahrhundert seinen ersten künstlerischen Auftritt – auf einem Bild von Albert Anker, dem berühmten Maler des Volkslebens. Es folgte die schweizweite Verbreitung über Verschönerungsvereine und Märkte. In der Nachkriegszeit besonders beliebt war die Kombination von Eternit-Blumenkiste mit rotem Geranium. So also mutierte die Exotin zur Heimatpflanze schlechthin. Heute ist sie ein globales Industrieprodukt; denn die Setzlinge auf Schweizer Märkten stammen aus afrikanischen Treibhäusern. Am Beispiel des Geraniums zeigte Beat Hächler, Ausstellungsmacher und Direktor des Alpinen Museums, wie sein Haus arbeitet: Es setzt sich regelmässig mit alpinen Identitätskonstruktionen auseinander und versucht Brücken zu schlagen zwischen vermeintlich «Heimatlichem» und «Fremdem». Über eigentliche Ausstellungsprojekte hinaus arbeitet dabei das Museum in vielfältigen und nachhaltigen Netzwerken, etwa mit Regionalmuseen.

«Exotische Tiere und lokale Akzente» 

Giraffe, Gepard, Gorilla: Die Attraktionen des Basler Zoos sind die exotischen Tiere. Direktor Dr. Olivier Pagan verdeutlichte, dass ein wissenschaftlicher Zoo noch viel mehr leistet; neben Erholung und Bildung auch Forschung und Naturschutz. Im Fokus steht die Begegnung der Menschen mit dem lebendigen Tier. Überraschenderweise leben in der grünen Basler Oase aber auch über 3’000 einheimische Arten zwischen den Gehegen, die den Zoo als ihren Lebensraum gewählt haben – zum Beispiel Igel. Auch in der Tierwelt begegnen sich also das Globale und das Lokale direkt.

«Zweibahnstrasse – Dialog auf Augenhöhe»

Rotes Käppchen und blauer Bart: Bekannt wurden die Brüder Grimm vor allem für ihre Sammlung der «Kinder- und Hausmärchen». Die Grimms haben mündlich überlieferte Geschichten mit breiter Provenienz verschriftlicht und für die Nachwelt aufbewahrt. Ihre persönlichen Arbeitsexemplare gehören seit 2005 zum UNESCO-Weltdokumentenerbe. Mit einer durchdachten und kreativen Szenografie führt die Grimmwelt Kassel in das Leben und Werk der beiden Brüder ein. Ausgehend von der weltweit gelebten Tradition und Kulturtechnik des Märchenerzählens realisierte die Grimmwelt ein Integrationsprojekt und einen interkulturellen Austausch mit in Kassel lebenden Flüchtlingen. Dazu wurden Arbeitsmaterialien gefertigt, die in 13 Sprachen als Download zur Verfügung stehen. Direktor Peter Stohler zeigte in seiner Präsentation auf, wie der Austausch rund um die Märchen seine Fortsetzung in unserer Zeit findet.

«Intensität der direkten Begegnung»

Die Indiennes, kunstvoll bedruckte Baumwollstoffe, gehören zu den ersten globalisierten Produkten. Seit dem 17. Jahrhundert sind sie Teil kontinentenübergreifender Handelskreisläufe. Dank einem Studienaufenthalt, der von ICOM Schweiz angeregt wurde, lud das Château de Prangins (Schweizer Nationalmuseum) einen Kollegen des Musée Théodore Monod d’art africain aus Dakar an den Genfersee ein. Mohamadou Moustapha Dieye, Assistenzkurator und Konservator, arbeitete während zwei Wochen an der Dauerausstellung über die Geschichte der Indiennes mit. Die Direktorin Helen Bieri Thomson begleitete dieses Projekt, dank dem das Museumsteam ein besseres Verständnis der Rolle dieser Stoffe erlangte und der senegalesische Fachmann vom Austausch mit Fachpersonen in der Schweiz profitieren konnte. Das Projekt zeigte, wie viel Globales in einem als «typisch schweizerisch » wahrgenommenen historischen Frauengewand steckt.

Und jetzt?

Der gewählte Fokus auf Partizipation und Transformation bestätigte, dass «glokal» ein relevantes und nach wie vor aktuelles Thema für Museen ist. Selbstkritisch nehmen wir die Frage mit, in wessen Dienst sich Museen stellen wollen und sollen. Voraussetzungen für das Gelingen von global-lokalen Projekten sind ein unvoreingenommener Blick, ein klares Konzept und Durchhaltewillen. So gewinnen alle beteiligten Menschen, das Museum und das Publikum. Oder in den Worten von Sharon Matt Atkins aus Brooklyn ausgedrückt: «It is all about partnership.»

Autorin: Jacqueline Strauss, Direktorin Museum für Kommunikation in Bern

Global, lokal, total egal?

Der diesjährige Jahreskongress trug das Label «glokal». Ein kurzer Blick in die Geschichte des Begriffs und dessen vielfältige Potenziale für die Museumswelt.

Von Geranien, Yoga und in die USA ausgewanderten Tessinerinnen und Tessinern war unter anderem die Rede am diesjährigen Jahreskongress des VMS und des ICOM Schweiz – all dies und vieles mehr liess sich unter dem Überthema des «Glokalen» vereinen. Man ahnt es: Mit dem Begriff öffnet sich ein breites Spektrum. Wie im Beitrag von Jacqueline Strauss (S.20) zu lesen ist, boten die Präsentationen grosser und kleiner Institutionen anregende Einblicke in Projekte, in denen das Globale und das Lokale ineinandergreifen. Doch was genau ist mit dem «Glokalen» gemeint? Wann und wie wurde der Begriff verwendet, und worin könnte sein Potenzial für die Schweizer Museumswelt heute liegen?

Zuerst einmal lenken das Adjektiv «glokal», das Substantiv «das Glokale» oder das die Prozesshaftigkeit betonende «Glokalisierung » unsere Aufmerksamkeit auf zwei Pole: auf die Gegensätze des Grossen, Globalen, Universalen und des Kleinen, Lokalen, Partikulären. Doch sind diese Gegensätze gar nicht so eindeutig. Denn der Begriff der Globalisierung, also der Prozess der zunehmenden weltumspannenden Verflechtung und seine Phänomene des Austauschs, Handels, der Diversifizierung und Vereinheitlichung, trägt diese beiden Pole bereits vereinend in sich. Das Lokale und das Globale waren bereits vor der Globalisierung – und seither erst recht – miteinander verflochten und bedingten einander.

Erste Recherchen im Netz zeichnen ein diffuses Bild: Da treffen auf Blogs selbsternannter «Veränderungsmanager» knackig formulierte Tipps wie «Die Glokalisierung einfach erklärt und wie Sie davon profitieren können» auf Definitionen wie die des «Oxford Dictionary of New Words», wo Glokalisierung schlicht als «The practice of conducting business according to both local and global considerations. » erklärt wird. Etwas weiter geht die Encyclopædia Britannica: «Glocalization, the simultaneous occurrence of both universalizing and particularizing tendencies in contemporary social, political, and economic systems» Doch auch die Definition, Glokalisierung als gleichzeitiges in Erscheinungtreten universalisierender und partikularisierender Tendenzen in heutigen sozialen, politischen und ökonomischen Systemen zu verstehen, so lässt sich kritisieren, unterschlägt die kulturelle Dimension des Begriffs. Denn das Lokale, das Globale und in erweitertem Sinne das Glokale treten auch in Diskursen zu Hybridisierung, kultureller Transformation, Nation oder Identität in Erscheinung. Ein kurzer Blick in die Begriffsgeschichte lohnt sich.

Vielfalt verkauft sich gut 

Der Neologismus «Glokalisierung» wurde bereits in den 1980ern in ökonomischen Kontexten verwendet, Vorbild war der in Japan verbreitete Begriff «dochakuka»: Damit wurde ursprünglich die Anpassung von landwirtschaftlichen Techniken an lokale Umstände bezeichnet. Im japanischen Geschäftsleben etablierte er sich aber auch als Begriff für die Anpassung einer globalen Perspektive an lokale Umstände. Mit dem Kofferwort «Glokalisierung» wurde dieses Prinzip in westliche Sprachen übersetzt. Als Teil des internationalen Geschäftsjargons erhielt der Begriff dann in den frühen Neunzigerjahren eine spezifischere Bedeutung und schaffte es in den Marketingjargon. Werbefachleute bezeichneten damit das Zuschneiden globaler Güter und Dienstleistungen und deren Bewerben auf differenzierte, partikulare Märkte. «Mikro-Marketing» vom Feinsten: So wurden etwa bewährte TV-Spielshows oder Castingformate an unterschiedliche nationale Gegeben- und Eigenheiten angepasst, dasselbe galt für grössere Modeoder Restaurantketten.

Der britische Soziologe Ronald Robertson war es, der dem Begriff 1998 mit seinem Aufsatz «Glokalisierung: Homogenität und Heterogenität in Raum und Zeit» einen Platz in den Sozialwissenschaften einräumte und ihm zu weitreichenderer Bedeutung verhalf. Robertson plädierte dafür, das Lokale nicht als Gegenspieler des Globalen zu betrachten, sondern vielmehr als Aspekt von Globalisierung. «Fast überflüssig zu erwähnen, dass die Anpassung an lokale und andere spezielle Umstände in einer Welt kapitalistischer Produktion für zunehmend globale Märkte nicht einfach ein Fall unternehmerischer Reaktion auf existierende globale Vielfalt ist – auf kulturell, regional, gesellschaftlich, ethnisch, sexuell und anders differenzierte Verbraucher –, als gäbe es eine solche Vielfalt oder Heterogenität einfach ‹an sich›.» Damit hob er den Konstruktionscharakter des Begriffs hervor: «Mikro-Marketing – bzw allgemeiner ausgedrückt: Glokalisierung – beinhaltet in beträchtlichem Umfang die Konstruktion von zunehmend differenzierten Verbrauchern, die ‹Erfindung› von ‹Verbrauchertraditionen›. Um es einfach auszudrücken: Vielfalt verkauft sich gut.» Dies scheint auch heute noch so zu sein. Das Prinzip der Vielfalt ermöglicht lokal Verwurzelten, bei ihrer jeweiligen Kultur zu bleiben. Und: Nur mit dem Gegensatz lokal verwurzelter Menschen im Hinterkopf kann man sich als Kosmopolitin bezeichnen. Der Soziologe Robertson verstand Globalisierung nicht nur als Bedrohung des Lokalen, sondern als Motor, der in gewisser Hinsicht gar erst die Wiederherstellung von «Heimat» und «Lokalität» mit sich brachte – all dies drückte er mit dem Begriff des «Glokalen» aus.

Das Museum als «Welt-Raum» 

Und was mag dies für die Museumswelt heissen? Ein «glokales Bewusstsein» oder eine «glokale Perspektive» ist heute für Ausstellungshäuser jeder Kategorie relevant, denn im Museum als einer Art «Welt-Raum» sind das Globale und das Lokale gleich in zweifacher Hinsicht verflochten: in Bezug auf die ausgestellten Objekte, Sammlungen und Archive und die damit verbundenen Erzählungen einerseits und in Bezug auf die Herkunft des Publikums und auf Fragen der Kommunikation andererseits. So mag in der einen, städtischen Institution ein Artefakt der Globalgeschichte oder ein Werk eines international bekannten Künstlers auf eine dem Museum benachbarten Schulklasse treffen, während in einem anderen, abgelegenen Museum in einem Bergtal lokale Handwerkstradition auf eine Besucherin aus Asien trifft. Eine «glokale Perspektive» könnte also heissen, einen (selbst-)kritischen Blick auf diese unterschiedlichen Kontexte zu werfen. Sich bewusst zu machen, aus welcher Warte man selber spricht, welche Mythen vielleicht unbewusst mit einem Objekt oder in einem Archiv eingeschrieben sind und transportiert werden. Und darüber hinaus könnte die Frage, welches Publikum mit welchen Ausstellungen angesprochen werden soll, selbstreflexiv verwoben werden mit Überlegungen zur eigenen Positionierung in Prozessen der Globalisierung und nicht zuletzt der Dekolonialisierung. Dies würde auch den Umgang mit den Sammlungen, Archiven und Repräsentationen betreffen sowie strukturelle Fragen der hiesigen Personal- und Kulturpolitik. Worauf gründen diese? Wer soll angesprochen werden? Und wer entscheidet über Themen, Umsetzungen und Finanzierung? Wie Jacqueline Strauss zur Eröffnung des Kongresses so schön gesagt hat: Im Nachdenken über das Wort «glokal» ergeben sich einige Überraschungen.

Eine «glokale Perspektive» könnte also heissen, einen (selbst-)kritischen Blick auf diese unterschiedlichen Kontexte zu werfen. Sich bewusst zu machen, aus welcher Warte man selber spricht, welche Mythen vielleicht unbewusst mit einem Objekt oder in einem Archiv eingeschrieben sind und transportiert werden. Und darüber hinaus könnte die Frage, welches Publikum mit welchen Ausstellungen angesprochen werden soll, selbstreflexiv verwoben werden mit Überlegungen zur eigenen Positionierung in Prozessen der Globalisierung und nicht zuletzt der Dekolonialisierung. Dies würde auch den Umgang mit den Sammlungen, Archiven und Repräsentationen betreffen sowie strukturelle Fragen der hiesigen Personal- und Kulturpolitik. Worauf gründen diese? Wer soll angesprochen werden? Und wer entscheidet über Themen, Umsetzungen und Finanzierung? Wie Jacqueline Strauss zur Eröffnung des Kongresses so schön gesagt hat: Im Nachdenken über das Wort «glokal» ergeben sich einige Überraschungen.

Autorin: Katharina Flieger, Redakteurin Schweizer Museumszeitschrift

Der Schriftsteller und das Tal

Diana Tenconi und Regina Bucher im Austausch über die Herausforderungen der Leitung eines Museums. Interview von Simona Sala.

Sie könnten verschiedener nicht sein, in jeder Hinsicht: das Museum Hermann Hesse in Montagnola und das Museum der Leventina in Giornico. Ersteres befindet sich in einem mittelalterlichen Turm im Herzen eines alten Tessiner Ortes, in einer südländischen Umgebung aus Palmen, Platanen und sonnigen Tagen, während das Umfeld des zweiten ganz anders aussieht. Man erreicht es über ein zuweilen schwieriges Tal, das nicht nur den anstrengenden Überlebenskampf seiner Bewohnerinnen und Bewohner in der Vergangenheit bezeugt, sondern Dank seiner strategischen Position auch in der grossen Geschichte eine Rolle spielte.

Geführt werden diese beiden kleinen und doch so wertvollen musealen Einrichtungen (2018 zählte das Osservatorio culturale del Cantone Ticino über 80 davon auf einem Gebiet mit 350.000 Einwohnern) von zwei Frauen, die von uns zu einer Begegnung eingeladen wurden, um über die Herausforderungen eines Berufes zu sprechen, der zuvorderst eine mit Leidenschaft gelebte Berufung ist. Auf halber Strecke zwischen Giornico und Montagnola treffen wir Diana Tenconi, Kuratorin des Museums der Leventina, und Regina Bucher, Direktorin des Museums Hermann Hesse.

Wie entstanden Ihre Museen?

Regina Bucher: Das Museum Hesse entstand 1997 zunächst als Verein auf Betreiben einiger Personen und Hermann Hesses Sohnes Heiner. Aus finanziellen Gründen kam das Projekt nicht weit. Seit dem Jahr 2000 leitet nun eine Stiftung das Museum auf einer solideren Basis, und so konnte unsere Arbeit richtig Fahrt aufnehmen.

Diana Tenconi: Das Museum der Leventina entstand 1966 auf Initiative von Diego Peduzzi und hat seit 1972 seinen festen Sitz in der Casa Stanga. Damals wurde auch ein Verein gegründet, der heute noch besteht und unter anderem für das Fundraising und die Betreibung des Museums zuständig ist. 1990, als das Gesetz über die regionalen ethnografischen Museen herauskam, wurde unser Museum Mitglied im ethnografischen Netzwerk des Kantons. Im Tessin gibt es insgesamt elf Museen, die vom Kanton mitfinanziert werden. Dies läuft über einen Vierjahresvertrag mit dem Zentrum für Dialektologie und Ethnografie, das verschiedene Leistungen anbietet und auch die Aktivitäten der Museen kontrolliert und so für ihre Qualität garantiert.

Diana Tenconi und Regina Bucher sind zwei sehr unterschiedliche Frauen: nachdenklich und diskret die erste, vulkanisch und beinahe südländisch die andere. Obwohl sie sich zum ersten Mal begegnen, erkennen beide Direktorinnen dieses Treffen als Gelegenheit, sich auszutauschen. Regina Bucher wendet sich direkt an Diana Tenconi,

RB: Seid Ihr Eigentümer des Museums?

DT: Ja. 2014 haben wir einen wichtigen Umbau vorgenommen, bei dem die Casa Stanga mit einem anliegenden Gebäude verbunden wurde, und so konnten wir die Ausstellungsräume erweitern.

RB: Torre Camuzzi dagegen ist in Privatbesitz und wir zahlen Miete. Das ist natürlich eine finanzielle Bürde, und ausserdem können wir keine Umbauten vornehmen.

Die Finanzierung ist ein Leitmotiv in der Museumspolitik. Wie gehen Sie mit diesem Problem um?

RB: Wir sind eine private Stiftung und erhalten seit fünfzehn Jahren vom Kanton Unterstützung bei einzelnen Projekten. Im Lauf der Zeit waren Kürzungen unvermeidlich, und so sind wir gezwungen, mehr private Sponsoren zu suchen.

DT: Der Kanton zahlt einen Beitrag zur Finanzierung meiner Anstellung (60%) und der meiner Sekretärin (50%). Bei Ausstellungen arbeiten wir mit Sponsoren.

RB: Es ist gut, dass der Kanton einen Teil Eurer Personalkosten übernimmt, denn es ist schwierig, Sponsoren zu finden, die sich an den normalen Betriebskosten beteiligen möchten. In den vergangenen zwanzig Jahren haben wir alles versucht, um die Einnahmen zu steigern, von der Sponsorensuche bis zur Gestaltung unseres Buchladens, aber trotz einer durchschnittlichen Besucherzahl von 13.000 Besuchern jährlich mussten wir auch Stiftungskapital ausgeben.

DT: Nur mit dem Publikum kann man es nicht schaffen... wir haben in etwa 3’000 Besucherinnen und Besucher pro Jahr. Ich finde es bewundernswert, dass es Euch gelingt, mit Euren Initiativen Gelder zu sammeln.

RB: Wir haben gerade eine schwierige Zeit hinter uns; in der Vergangenheit hatten wir dreizehn Personen gefunden, die sich bereit erklärt hatten, uns drei Jahre lang mit einem bestimmten Betrag zu unterstützen. Wir gaben ihnen den Namen Der Kreis der Glasperlenspieler (nach Hesses bekanntem Roman, Anm. d. Red.). Zum Dank erhielten sie eine Arbeit von Mario Botta. Als die drei Jahre um waren, kam die Gemeinde von Collina d’Oro auf den Plan, Dank der wir bis 2021 einigermassen unbesorgt sein können…

DT: Auch die Gemeinden der Leventina überweisen seit 2014 pro Einwohner einen Betrag.

Was kann der Besucher in Ihren Museen entdecken?

DT: Nach dem Umbau haben wir einen neuen Ansatz gewählt. Früher hatten wir einen historischen Blickwinkel und erzählten vom Leben der Bauern, heute ist der Ansatz anthropologisch. Der rote Faden der Dauerausstellung ist die Identität. Eine Abteilung ist der Identität der Individuen gewidmet, eine der Identität der Gemeinschaft und eine der Geschichte des Tals, das von der Weidewirtschaft über die Nutzung der Ressourcen bis zur Industrie und natürlich den Tourismus gelangte.

RB: Wir widmen uns dem Mann, der noch heute der weltweit meistgelesene deutschsprachige Schriftsteller des 20. Jahrhunderts ist. Der Hauptsaal beschäftigt sich mit den 43 Jahren, die Hesse im Tessin lebte; ausgestellt sind dort viele persönliche Gegenstände Hesses, die ich mit Mühe zusammengetragen habe, wie seine Brille und seine Reisetasche. Aber auch Briefe und Fotografien, und seine wunderschönen Aquarelle. Wir versuchen, nicht zu viele Erklärungstexte zu liefern, denn unser Museum möchte vor allem die tiefe Spiritualität Hesses wieder auferstehen lassen. Zwei Mal im Jahr organisieren wir auch Wechselausstellungen.

Welches Verhältnis haben Ihre Museen zur Bevölkerung?

RB: Wir haben anfangs etwas Misstrauen verspürt, doch jetzt ist das Verhältnis gut, auch weil wir viele Veranstaltungen in italienischer Sprache anbieten. Im Mai haben wir das einhundertjährige Jubiläum der Ankunft Hesses in Montagnola gefeiert, und die Bevölkerung hat begeistert teilgenommen.

DT: Für uns ist der Kontakt zu den Einheimischen wichtig; daher organisieren wir in der Gegend Konferenzen oder Exkursionen mit erfahrenen Führern wie Orazio Martinetti, Guido Pedrojetta und Fabrizio Viscontini. Die Verbindung zur Bevölkerung ermöglicht es uns auch, auf die ehrenamtliche Mitarbeit der Bewohner zählen zu können.

Was können die Besucherinnen und Besucher in der Umgebung Ihrer Museen entdecken?

RB: Wir bieten neben dem Museum vor allem einen herrlichen Garten, in dem unsere Schildkröte lebt, sowie ein Literaturcafé. Wenn man die weitere Umgebung erforschen möchte, kann man verschiedene thematische Spaziergänge mit Audioguide machen. Ausserdem können unsere Führer die Besucher auch nach Carona begleiten, ans LAC in Lugano oder auf den Monte Verità. Wir entwickeln auch massgeschneiderte Programme.

DT: Wir raten, die Natur der Leventina zu entdecken, mit Wanderungen im Pioratal, zum Tremorgio oder auf den Gotthard. Auch in der Gegend von Giornico selbst gibt es zahlreiche Monumente, für die sich ein Besuch lohnt, von der romanischen Kirche San Nicolao bis zum Museo La Congiunta, einem von Peter Märkli entworfenen Gebäude aus Beton, das die Skulpturen von Hans Josephsohn beherbergt. Es gibt auch zwei romanische Steinbrücken und die einzige bewohnte Insel im Fluss Ticino. Dieser Ort hat eine besonders gute Energie.

Das Museum wird also zum Ausgangspunkt …

RB: Heute muss ein Museum einfach mehr bieten als nur eine Ausstellung. Unsere Zukunft liegt darin, den Bedürfnissen des Tourismus entgegenzukommen.

DT: Sehr richtig. Museen werden zu einem Ort der Information über die ganze Gegend – manchmal geben wir sogar Tipps, wo man gut essen gehen kann!

RB: Wir müssen daran arbeiten, die das Publikum an uns zu binden. Im Museum Hesse kommen etwa 20% der Besucherinnen und Besucher wieder. Die Atmosphäre ist angenehm und entspannt.

DT: Das ist ein ganz wichtiger Aspekt. Die Atmosphäre und wie wir das Publikum aufnehmen, ist grundlegend.

Diana Tenconi und Regina Bucher verabschieden sich. Erstere kehrt nach Süden, zweitere nach Norden zurück. Mein Eindruck ist, dass sie sich wieder treffen werden..

Prangins-Dakar: ein erfolgreicher Austausch

Interview von Laure Eynard über den von ICOM Schweiz, ICOM Senegal, ICOM International und Château de Prangins organisierten Studienaufenthalt.

Auf der Terrasse von Schloss Prangins treffen wir Mohamadou Moustapha Dieye, einen Archäologen mit einem Master in Kulturgutverwaltung. Dieser 31-jährige Senegalese, der auf präventive Konservierung spezialisiert ist, arbeitet am Musée Théodore Monod für afrikanische Kunst in Dakar und wurde für einen zweiwöchigen Studienaufenthalt in der Schweiz ausgewählt, ein Pilotprojekt des internationalen Museumsrats (ICOM) und seiner Schweizer Vertretung. Im Gespräch schildert er seine Eindrücke.

Während Ihres Aufenthalts haben Sie einen Eindruck von der musealen Welt der Schweiz erhalten und zahlreiche in diesem Bereich tätige Menschen kennengelernt. Welche Techniken und/oder Kenntnisse haben Sie besonders beeindruckt?

Mich haben die Konservierungstechniken am Sammlungszentrum des Schweizerischen Nationalmuseums in Affoltern am Albis beeindruckt. Bernard Schüle hat mir gezeigt, wie die Uniformen und Fahnen im Compactus aufbewahrt werden. Im Senegal haben wir Metallbehälter, die eher ungeeignet sind. Die Archive im Dakar sind in einem kritischen Zustand, da es weder Restauratoren noch eine angemessene Ausstattung für die präventive Konservierung gibt. Darüber hinaus habe ich Elke Mürau kennengelernt, die mir gezeigt hat, wie Textilien restauriert und behandelt werden und auf welche Art und Weise Stoffe in einem Ausstellungskontext zur Geltung gebracht werden können.

Was tragen Sie zur ständigen Ausstellung Indiennes: bedruckte Baumwollstoffe bei, die für 2020 in Schloss Prangins vorgesehen ist?

Ich werde meine Erfahrung in den Ausstellungsbereich einbringen, der Afrika gewidmet ist, insbesondere der senegalesischen Insel Gorée, die im 16. und 17. Jahrhundert der Angelpunkt des Atlantischen Dreieckshandels war, als die Indiennes als Tauschwährung im Sklavenhandel dienten. Vor meinem Aufenthalt in der Schweiz habe ich der Direktorin Helen Bieri Thomson eine bedeutende Dokumentation zur Verfügung gestellt, die 2018 digitalisierte Datenbank der Textilsammlung des Musée Théodore Monod. Dadurch konnten wir einige Gegenstände aus der Sammlung von Schloss Prangins genauer untersuchen und besser verstehen. Man kann sagen, dass ich auf diese Weise einen anderen Blickwinkel auf das Thema beisteuere. Die Fachleute, die ich kennengelernt habe, waren nie in Afrika. Für mich ergibt sich so auch die Gelegenheit, ihnen von der Museumspolitik und dem Universum der Museen in Afrika zu berichten.

Was hat Ihnen dieser Besuch in der Welt der Schweizer Museen gegeben?

Ich schätze insbesondere die auf die Bedürfnisse des Publikums abgestimmte Gestaltung und die Verwendung von Audioguides und neuer Technologien für die Kulturvermittlung. Wenn ich nach Dakar zurückkehre, würde ich diese Instrumente gerne einführen, sowie auch die Applikation MuseumPlus, um die Verwaltung der Werke zu erleichtern und unsere Forschungs- und Dokumentationsarbeit effizienter zu gestalten. Anlässlich des Besuchs der Sekretärin des ICOM Schweiz und der VMS habe ich alle einfachen und praktischen Publikationen erhalten, die von der Vereinigung für die Mitarbeiter von Museen abgefasst wurden. Ich bin mit einem Koffer gekommen und reise mit einem zweiten Koffer voller Dokumentationen über die Schweizer Museen wieder ab.

Die Welt der afrikanischen Museen ist sehr dynamisch, seitdem 2017 in Kapstadt das Musée Zeitz d’art contemporain und 2018 das Musée des civilisations noires in Dakar eröffnet wurden. Im Jahr 2020 sollen in Benin vier Museen eröffnet werden. Was halten Sie davon?

Die afrikanischen Museen gingen auf die Kolonialzeit zurück und waren in alten Verwaltungsgebäuden oder Residenzen untergebracht, die kaum geeignet für die Konservierung der Sammlungen waren. Auch die heutige Situation, mit der Rückgabe afrikanischer Kulturgüter, trägt zu der Dynamik bei. In Westafrika sprechen alle darüber, nach der Rede des französischen Präsidenten in Burkina Faso im November 2017 und dem Abschluss des Berichts von Savoy und Sarr zu diesem Thema, der im darauf folgenden Jahr publiziert wurde. Die Bevölkerung fühlt sich betroffen und Journalisten und Universitäten organisieren Diskussionen zum Thema. Die Mehrheit der Afrikaner will, dass Frankreich die Kulturgüter zurückgibt, damit sie an die zukünftigen Generationen weitergegeben werden und die Jungen vom Austausch mit internationalen Museen profitieren können, um ihr Wissen über die Konservierung dieser Kunstwerke zu vertiefen.

Ein neuer Blick auf die afrikanische Geschichte und Kunst

Das Musée des civilisations noires, welches dieses Jahr eröffnet wurde, möchte dem Erbe schwarzer Kulturen weltweit ein Zuhause zu geben. Die kenyanische Autorin Ciku Kimeria hat das Museum besucht und mit dem Direktor Hamady Bocoum gesprochen.

Die Eröffnung des Musée des civilisations noires (dt. Museum der schwarzen Zivilisationen) in Dakar hätte zu keinem besseren Zeitpunkt stattfinden können. Obwohl das Konzept dazu bereits in den 1960ern vom ersten senegalesischen Präsidenten Léopold Sédar Senghor erdacht wurde, dauerte die Verwirklichung bis Ende letzten Jahres. Die Eröffnung des Museums fiel mit der Veröffentlichung der bahnbrechenden Studie des senegalesischen Ökonomen Felwine Sarr und der französischen Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy zusammen, in der die Rückgabe von Afrikas geplünderten Kulturschätzen gefordert wird. Mehr als 90’000 afrikanische Kunstgegenstände befinden sich derzeit in französischen Museen, Tausende weitere sind in Museen in ganz Europa verstreut. Dies befeuert die Debatten darüber, ob Afrikas geplünderte Kulturgüter an den Kontinent zurückgegeben werden sollen und ob Afrika über die Mittel oder das Interesse verfügt, diese Schätze zu schützen.

Museumsdirektor Hamady Bocoum äusserte sich zu diesem Thema folgendermassen: «Die Rückgabe von Afrikas gestohlenen Kulturschätzen sollte nicht davon abhängig sein, ob wir Platz haben, diese auszustellen. Diejenigen, die unsere Schätze gestohlen haben, können uns nicht diktieren, wie wir mit ihnen umgehen. Wenn nun eine Stadt ihre Schätze an die heiligen Wälder zurückgeben möchte, aus denen sie geraubt wurden, dann ist auch das ihr gutes Recht.» Diese Haltung lässt die starken antikolonialistischen Empfindungen erkennen, die das Ethos des Museums widerspiegeln.

Die Struktur und die Relevanz der Wahl Dakars als Sitz

Der riesige Komplex mit 14’000 Quadratmetern, die auf vier Stockwerke verteilt sind, ist architektonisch an die Rundhütten der Region Casamance im Süden Senegals und Gross-Simbabwe angelehnt. Das erste Bild, das sich dem Besucher eröffnet, ist das der riesigen Baobab-Skulptur des haitianischen Bildhauers Edouard Duval-Carrié im Zentrum des Museums. Der beliebte Lebensbaum besitzt im Senegal eine große kulturelle, spirituelle und historische Bedeutung. Einige der Bäume sind dabei zwischen 1’000 und 2’500 Jahre alt und haben über 300 Verwendungen.

Das Museum hat sich zum Ziel gesetzt, alle schwarzen Zivilisationen zu repräsentieren, doch der Standort ist mit Dakar nicht rein zufällig gewählt: In dieser Stadt lebt und atmet die Kunst. Der Gründervater des Landes und zugleich der geistige Vater dieses beeindruckenden Museums – Léopold Sédar Senghor – war ein Dichter, Kulturtheoretiker und führender panafrikanistischer Denker.

Im Gespräch über das Konzept des Museums betont Bocoum wiederholt, wie wichtig es sei, den westlichen Blick zu vermeiden: «Gleich zu Beginn haben wir uns darauf verständigt, dass dies kein Museum der Ethnologie werden sollte. Ethnologie ist für uns eher die Wahrnehmung von Afrikanerinnen und Afrikanern durch die westliche Linse – im Stile von Aussagen wie «Die Massai sind ein Nomadenvolk ...», «Die Hausa sind …» – und weniger unser Blick auf uns selbst. Als zweites einigten wir uns darauf, dass dies kein anthropologisches Museum werden solle. Das war uns wichtig, da Anthropologie genutzt wurde, um das Konzept von «Race» zu rationalisieren. Ein Konzept, das verheerende Auswirkungen auf diejenigen ausserhalb der Machtstrukturen hatte – ganz besonders auf People of Color. Anthropologie machte es möglich, die Versklavung schwarzer Menschen zu legitimieren. Als drittes wollten wir nicht, dass dies ein subalternes Museum werden würde.»

Gayatri Chakravorty Spivak, eine indische Gelehrte, Literaturwissenschaftlerin und feministische Kritikerin, beschreibt subaltern im postkolonialen Kontext wie folgt: «Westliche Intellektuelle verbannen andere, nichtwestliche (afrikanische, asiatische, nahöstliche) Formen des ‹Wissens›, der Aneignung von Weltwissen, an den Rand des intellektuellen Diskurses, indem sie diese Wissensformen als Mythos und als Folklore neu darlegen. Um gehört und gekannt zu werden, muss das Subalterne die westliche Art des Wissens, Denkens, Schlussfolgerns und der Sprache übernehmen.»

Der repräsentative Charakter des Museums für unterschiedlichen Kulturen of Color

Wenn man Bocoum zuhört, fällt es schwer, nicht über die schädlichen Auswirkungen der vorherrschenden Darstellung der schwarzen Bevölkerung und ihrer Kultur nachzudenken, mit denen sich People of Color weltweit konfrontiert sehen. Eine Darstellung, die ihnen nur wenig lässt, auf das sie stolz sein können. Der ehemalige Profifussballspieler Lilian Thuram aus Guadeloupe schrieb sein Buch «Mes Etoiles Noires (My Black Stars): Von Lucy bis Obama» das einzige Mal, das er als junger Schüler in Frankreich etwas über afrikanische Geschichte gelernt hat, bei der Behandlung des transatlantischen Sklavenhandels war. Er beklagt, dass sich schwarze Kinder, wenn sie nur diese Dinge über ihre Geschichte lernen, natürlich minderwertig fühlen werden. Darum hat er das Buch geschrieben: Damit schwarze Kinder eine Sammlung an schwarzen Heldinnen und Helden hätten, die sie durch die Jahre begleiten und inspirieren könnten – damit sie wissen, dass ihre Geschichte mehr bereithält als nur die Ungerechtigkeit gegen sie und ihre Vorfahren.

Das Museum hat sich zum Ziel gesetzt, dem Erbe schwarzer Kulturen weltweit ein Zuhause zu geben – mit einer globalen Betrachtung von schwarzer Kultur. Im Museum befindet sich eine Galerie voller Masken verschiedener afrikanischer Ethnien und Länder. Ein anderer Ausstellungsbereich konzentriert sich auf den Beitrag Afrikas zu Medizin, Mathematik und Architektur. In diesem Zusammenhang führt selbstverständlich kein Weg an dem Werk von Cheikh Anta Diop vorbei, ein senegalesischer Historiker, Anthropologe und Physiker, der zu den Ursprüngen der menschlichen Spezies und zu vorkolonialer afrikanischer Kultur geforscht hat. Er erwähnte als erster die afrikanischen Wurzeln des Homo Sapiens – eine Sicht, die zu jener Zeit als höchst kontrovers galt, heute jedoch allgemein anerkannt ist. Eine weitere Ausstellung ist den afrikanischen Frauen und Frauen afrikanischer Herkunft gewidmet, die auf der Welt etwas bewirkt haben – darin werden Winnie Madikizela Mandela, Harriet Tubman, Wangari Maathai, Angela Davis, Sojourner Truth und viele weitere Frauen gewürdigt.

Die Ausstellung über Negritude, schwarzes Bewusstsein und panafrikanische Länder zollt diversen grossen Persönlichkeiten Anerkennung, darunter Dr. Martin Luther King Jr., Frederick Douglas, Thomas Sankara, Malcolm X und weitere. Der Bereich über zeitgenössische Kunst umfasst eine eindrucksvolle Sammlung von Werken, z. B. Fotografien von Malaïka Dotou Sankofa, ein fiktionaler androgyner afrikanischer Engel der französisch-beninischen Künstlerin Laeïla Adjovi, der mit dem Biennalen-Kunstpreis von Dakar 2018 ausgezeichnet wurde, Porträts der malischen Fotografenikone Malick Sidibe und eine Installation des haitianischen Künstlers Philippe Dodard, die in Phasen die Entwicklung der Sklaverei von Afrika über die sogenannte Middle Passage bis zu karibischen Plantagen darstellt.

Die Rezeption des Museums

Bocoum weist noch einmal auf das Ziel des Museums hin, das darin besteht, kontinuierlich verschiedene schwarze Kulturen auszustellen, und fügt hinzu: «Bereits in der Anfangsphase haben wir mit Künstlern und Museumskuratoren aus unterschiedlichen Teilen der schwarzen Diaspora, u. a. aus Kuba, den Vereinigten Staaten und Brasilien, zusammengearbeitet. Die Ausstellungen im Museum werden sich alle sechs Monate ändern. Die Ausstellung zur Wiege der Menschheit bleibt dabei eine der wenigen permanenten. Die übrigen Ausstellungen, einschliesslich jener über zeitgenössische Kunst, werden mit immer neuen Themen und Exponaten stetig überarbeitet und dabei Inhalte der schwarzen Diaspora aufgreifen. Dies ist kein Museum der senegalesischen oder afrikanischen Zivilisationen. Es ist und bleibt das Museum der schwarzen Zivilisationen.»

Einen Monat nach seiner Eröffnung lockte das Museum im Schnitt bereits 500 bis 600 Besucherinnen und Besucher pro Tag an. Das Museum begann mit 700 Exponaten, besass schon nach einem Monat 1’300 und rechnet mit 4’000 bis 5’000 ausgestellten Exponaten bis Ende 2019. Im Museum können bis zu 18’000 Exponate Platz finden. Die Eröffnungsausstellung bestand aus vier Bereichen: Die Wiege der Menschheit (mit Schädeln und Skeletten, die in verschiedenen Teilen des Kontinents entdeckt wurden), Kontinentale afrikanische Zivilisationen (behandelt die Geschichte von Masken und die Auswirkungen des Sufismus und des Christentums in Afrika), Globalisierung Afrikas (betrachtet Konzepte der Bewegungen Negritude, Panafrikanismus, schwarzes Bewusstsein) und Afrika heute (zeitgenössische Kunst von schwarzen Künstlern aus Afrika, Amerika und der Karibik).

Wenn man bedenkt, dass der afrikanische Kontinent die Wiege aller Zivilisationen ist, so findet sich in diesem Museum für jeden etwas. Für die Söhne und Töchter des Kontinents, auf welchem Teil der Erde sie auch sein mögen, wird dieses Museum jedoch eine transformative Erfahrung darstellen. Es ermöglicht ihnen, sich selbst und ihre Kulturen auf eine Weise repräsentiert zu sehen, die sie würdigt – und das auf afrikanischem Boden. Das allein ist schon Grund genug zum Feiern.

Autorin: Ciku Kimeria, kenianische Autorin («Of goats and poisoned oranges»), Kommunikationsberaterin, Abenteurerin und Reisebloggerin

Die Kulturbotschaft 2021–2024: eine Botschaft für alle?

Was beinhaltet die Kulturbotschaft 2021–2024? Wie betrifft sie die mittleren und kleinen Institutionen? Und was können diese gegen die «digitale Kluft» zwischen ihnen und den grösseren Häusern tun? Ein Gespräch mit Stefan Zollinger über die Stellungnahme des VMS zur Vernehmlassung der aktuellen Kulturbotschaft.

Komplexe Regelwerke stellen die Förderung, den Erhalt und die Finanzierung der schweizerischen Kulturinstitutionen sicher. Eine dieser Massnahmen ist die Kulturbotschaft. Seit dem Bundesgesetz über die Kulturförderung (Dezember 2009) verabschiedet der Bund alle vier Jahre dieses Papier, das festlegt, in welcher Form das Bundesamt für Kultur (BAK) die breite Kulturlandschaft fördert. Dabei ist die Stellung des Bundes eindeutig festgelegt: Kantone, Gemeinden und Städte bleiben in der Ausgestaltung ihrer Kulturpolitik gegenüber dem Bund autonom. Für die Förderung oder den Betrieb der Museen und Sammlungen, unabhängig davon, ob sie sich in öffentlicher oder privater Hand befinden, ist also nicht in erster Linie der Bund zuständig. Ausgenommen davon sind vier voll finanzierte Institutionen, die sich unter dem Dach des Schweizerischen Nationalmuseums als eigene Rechtskörperschaft zusammengefunden haben. Ebenso betreibt das BAK weitere bundeseigene Museen und Kunstsammlungen. Artikel 10 des besagten Kulturförderungsgesetzes jedoch ermöglicht es dem BAK, Museen, Sammlungen und Netzwerke Dritter finanziell zu unterstützen. Zu Letzteren gehören unter anderem auch der Verband der Museen der Schweiz (VMS), die Stiftung Schweizer Museumspass und Memoriav, der Verein zur Erhaltung des audiovisuellen Kulturgutes der Schweiz.

Immer grössere Ausstellungen Die Kulturbotschaft wandelt das Gesetz in praktische Handlungen um. Sie legt fest, welche Institutionen zur Bewahrung des kulturellen Erbes in den geltenden Förderperioden Betriebs-, Versicherungskosten- oder Projektbeiträge erhalten. Grosse Ausstellungsprojekte mit internationaler Strahlkraft können Beiträge an die Versicherungsprämien für wertvolle Leihgaben beziehen. Damit wird sichergestellt, dass weiterhin dem Wunsch des Publikums nach Ausstellungen mit internationaler Strahlkraft Rechnung getragen werden kann, auch wenn die stetig steigenden Versicherungsprämien immer wesentlichere Teile des Budgets in Anspruch nehmen. Um auf ebensolche Entwicklungen hinzuweisen, hat der VMS gemeinsam mit dem ICOM Schweiz eine Stellungnahme zum Entwurf der Kulturbotschaft 2021–2024 formuliert. Darin wird beispielsweise eine Erhöhung der Unterstützungsbeiträge für Versicherungsprämien gefordert.

Einen weiteren grossen Anteil der Leistungen des Bundes machen finanzielle Unterstützungen für Betriebskosten aus. Seit der letzten Botschaft müssen sich Institutionen, die Beiträge an die Betriebskosten erhalten, um eine Fortsetzung der Förderung bewerben. Das Vergabeverfahren baut seither auf einem Kriterienkatalog auf, den das BAK erarbeitet hat. Für die Museen ändert sich künftig wenig. Dies wird positiv bewertet, so jedenfalls äussert sich Stefan Zollinger: «Wir finden es wichtig, dass die Betriebsbeiträge weiter finanziert werden und dass das System der Ausschreibungen gleich bleibt. Es gibt Museen, die darauf angewiesen sind – gerade die grossen.» Doch geht der Verband in seinen Überlegungen noch einen Schritt weiter: «Wir meinen, dass vier Jahre für Betriebsbeiträge eines Museums eine relativ kurze Zeit sind. Sinnvoller wäre, diese längerfristig zu vergeben.» Konkret schlägt der VMS in seiner Stellungnahme eine Laufzeit von acht statt vier Jahren vor.

Ebenfalls beibehalten wird der in der vorangegangenen Kulturbotschaft formulierte Fokus auf die Förderung der Provenienzforschung. Der Bund vergibt auch weiterhin Beiträge an Projekte, die auf diesem Gebiet Forschung betreiben. 2018 konnten zwölf Museen Projektgelder akquirieren, um sich der lückenlosen Herkunftserforschung der Kunstwerke zu widmen, die in Verdacht stehen, Raubkunst zu sein. Das Kunstmuseum Basel beispielsweise konnte damit einen in der Sammlung befindlichen Ankauf von 200 Zeichnungen aus dem Jahr 1933 untersuchen.

Die digitale Kluft

Auf die Frage, ob es möglich wäre, weitere Institutionen durch Betriebs- oder Projektbeiträge direkt vom Bund unterstützen zu lassen, bestärkt Stefan Zollinger die aktuelle Kulturpolitik des Bundes: «Es macht Sinn, wenn der Bund grössere Institutionen von nationalem Interesse mit Betriebsbeiträgen fördert und nicht möglichst viele kleinere Museen subsidiär unterstützt – das ist die Aufgabe der Kantone und der Gemeinden.» Zunehmend sieht er die Rolle des VMS und anderer Netzwerke Dritter darin, eine Brücke zwischen grösseren und kleineren Institutionen zu schlagen, um einen Wissenstransfer anzuregen. In der Stellungnahme ist deshalb die Rede von einer «digitalen Kluft», die zunehmend sichtbar werde. Stefan Zollinger führt aus: «Es wäre sinnvoll, nach der Provenienzforschung das Thema Digitalisierung mit Projektbeiträgen anzustossen. Das Thema wird alle Museen herausfordern, auch die kleinen. Und nicht nur die Museen, sondern die gesamte Gesellschaft.» Ausserdem sieht sich der Verband in der Plicht und in der Position, ein Projekt auf dem Gebiet der Digitalisierung zu entwickeln, das seine vielfältigen Mitglieder in den Bereichen Inventarisierung, Vermittlung, Administration und Kommunikation unterstützen soll. Museen und Sammlungen können bereits heute von Dienstleistungen des VMS oder von Memoriav und damit indirekt von der Förderung des Bundes profitieren. Das Museum im Bellpark etwa konnte, mit Unterstützung von Memoriav, ein Erhaltungs- und Katalogisierungsprojekt anstossen: 3'000 Glasplatten des ersten Krienser Fotografen Emil Kreis (1869–1929) konnten gesichert und so das Fotoarchiv eines der bedeutendsten Industriefotografen der Region Luzern um 1900 einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Damit leistete die vergleichsweise kleine Institution in Zusammenarbeit mit Memoriav einen grossen Beitrag zum Erhalt des audiovisuellen Kulturgutes der Schweiz und realisierte überdies ein Projekt mit Signalwirkung.

Die Botschaft hinter der Kulturbotschaft

Der VMS vertritt mit rund 770 Mitgliedern knapp drei Viertel aller musealen Institutionen der Schweiz. Damit die Stellungnahme ein möglichst umfangreiches Meinungsbild spiegelt, haben VMS und ICOM ihre Mitglieder befragt und anschliessend alle Rückmeldungen darin einfliessen lassen. «Auch die kleinen Museen konnten sich in unsere Stellungnahme einbringen. Sie erscheinen damit auf der Bühne der nationalen Kulturpolitik und bekommen durch den VMS eine Stimme», kommentiert Stefan Zollinger den Prozess der Mitgliederbefragung. Die Umfrage ist ebenfalls ein Beispiel dafür, in welcher Form Netzwerke Dritter eine Wirkung entfalten können. Gerade der Zusammenschluss von kleineren und mittleren Institutionen und das Engagement in Verbänden hält Stefan Zollinger für eine zukunftweisende Strategie. Jedoch könnte mit der neuen Kulturbotschaft eine Veränderung bevorstehen: «Der aktuelle Botschaftsentwurf sieht vor, neu weitere Netzwerke Dritter zu fördern, den Budgetposten gesamthaft aber nicht zu erhöhen. Sollte dies so umgesetzt werden, stehen den bisherigen Netzwerken und damit auch dem VMS weniger Mittel zur Verfügung», kritisiert Stefan Zollinger den entsprechenden Absatz der Kulturbotschaft über die Betriebsbeiträge für Netzwerke Dritter.

Stefan Zollinger hat noch eine weitere Sicht auf das Regelwerk: «Weil es wegen der Kulturhoheit der Kantone keine nationale Kulturpolitik gibt, hat sich die Kulturbotschaft stark zu einer Art Leitbild entwickelt.» Insbesondere die seit der zweiten Kulturbotschaft formulierten Handlungsachsen «Kulturelle Teilhabe», «Gesellschaftlicher Zusammenhalt» sowie «Kreation und Innovation » gelten als verlässliche Orientierungshilfen für Kulturschaffende. Demnach machen sich der VMS und der ICOM auch aus ideellen Gründen dafür stark, die Bedeutung der Museen und insbesondere die seiner Mitarbeitenden in der Kulturbotschaft noch mehr zu unterstreichen. Es gilt damit, ihre Arbeit in der Vermittlung, in der Forschung und vor allem im Bereich der kulturellen Teilhabe zu würdigen.

Autorin: Silvia Posavec, Studentin Kulturpublizistik (ZHdK) und freie Journalistin

Chronik 2019

Die Rubrik gibt einen umfassenden und vielfältigen Überblick über Neuerungen und Veränderungen in der Schweizer Museumslandschaft.

Seit der letzten Chronik hat sich einiges getan. Zum Einstieg ein Überblick über die zahlreichen Feierlichkeiten – es folgen Jubiläen, Auszeichnungen und Rekorde. Das Liechtensteinische Landesmuseum feierte 2019 mit der Sonderausstellung «1719–300 Jahre Fürstentum Liechtenstein» das runde Jubiläum des Fürstentums. Bereits halb so alt ist der Wildnispark Zürich Langenberg: Am 11. Dezember 1869 wurde der älteste Tierpark der Schweiz auf dem Langenberg eröffnet. Das Jahr 2018 war für das Museum der Kulturen Basel speziell: Es feierte 125 Jahre und liess die Bevölkerung eine Ausstellung mitgestalten. Rund 200 Personen durften in den sonst verschlossenen Depots Objekte aussuchen. In einer Online-Abstimmung wurden die 125 Favoriten erkoren, die dann in der Ausstellung «Wünsch dir was» zu sehen waren. Das Bündner Kunstmuseum in Chur konnte 2019 bereits auf 100 Jahre zurückblicken, das 200-Jahr- Jubiläum feierte das Kunstmuseum Luzern dieses Jahr mit der bedeutendsten Ausstellung seiner Geschichte: «Turner. Das Meer und die Alpen.» Turners Begeisterung für die Zentralschweiz war ebenso gross wie seine Reiselust. Seinen Spuren folgt auch das neue Online-Vermittlungsformat (turner2019.ch). Jüngere Jubiläen konnte das Museum Aargau begehen: Das zehnjährige Bestehen des Freiwilligen-Programms mit über 100 Freiwilligen wurde mit einem Fest auf Schloss Hallwyl gefeiert. Ebenfalls zehn Jahre alt wurde der Legionärspfad Vindonissa, was mit einem römischen Festessen gewürdigt wurde. Und das Kunsthaus Grenchen blickte mit einer Feier auf die zehn Jahre zurückliegende Eröffnung des grosszügigen Erweiterungsbaus der historischen Villa Girard aus dem 19. Jahrhundert zurück.

Das Forum Würth Rorschach, das 2013 seine Tore öffnete, zeigt in Wechselausstellungen Werke der modernen und zeitgenössischen Kunst aus der umfangreichen Sammlung Würth. Bereits fünf Jahre nach der Eröffnung konnte es seinen 300’000sten Besucher begrüssen. Auch das Kunsthaus Zug markierte 2018 einen Besucherrekord – über 20’000 Personen besuchten die Ausstellungen. Zum dritten Mal in Folge rund doppelt so viel Publikum wie in den Jahren zuvor verzeichnete 2018 das Museum Langmatt mit knapp 14’000 Besucherinnen und Besuchern. 2019 erreichte das Museum Haus Konstruktiv mit der Gruppenausstellung «Konkrete Gegenwart» rekordreiche Eintritte und Medienresonanz. Und mit 104’703 Eintritten verzeichnete das Museum für Kommunikation in Bern vergangenes Jahr einen Besucherrekord – erstmals in seiner 111-jährigen Geschichte sind in einem Kalenderjahr mehr als 100’000 Gäste im Haus gewesen. Zusätzlich wurde die Institution 2019 mit mehreren Auszeichnungen geehrt: In Strasbourg durfte es für seine neue Kernausstellung den diesjährigen «Council of Europe Museum Prize» in Empfang nehmen, in Hamburg erhielt die Ausstellung «Sounds of Silence» den «International Sound Award» in der Kategorie Soundscapes and Ambient Sound, und das Plakat für ebendiese Ausstellung wurde in die Auswahl «100 beste Plakate» des Jahres 2019 aufgenommen. Das Engadiner Museum wurde für den «European Museum of the Year Award» EMYA nominiert. Gewonnen hat diesen schliesslich das niederländische Rijksmuseum Boerhaave in Leiden, für die Nominierung erhielt das Engadiner Museum ein Zertifikat. Mit dem Label «Kultur inklusiv», das für eine ganzheitliche inklusive Haltung steht, wurden 2016–2019 ganze 24 Museen ausgezeichnet (kultur.inklusiv.ch).

Vielerorts wurde umgebaut, erweitert und (wieder-) eröffnet: Bereits seit März 2018 erstrahlt das denkmalgeschützte Stammhaus des Museums für Gestaltung Zürich aus den 1930er-Jahren von Adolf Steger und Karl Egender frisch renoviert und in neuem Glanz. Das Haus übernahm zudem im Mai 2019 die inhaltliche und betriebliche Verantwortung für den Pavillon Le Corbusier im Zürcher Seefeld. Im September 2018 feierte das Museum Burghalde in Lenzburg nach rund eineinhalb Jahren Bauzeit Wiedereröffnung. Die Liegenschaft aus dem Jahr 1628 wurde vollständig saniert und den modernen Bedürfnissen angepasst, das Museum erhielt im Zuge des Umbaus zusätzliche Flächen für eine filmische Einführung und ein Atelier. Zum Jahresende 2018 öffnete das komplett neu gestaltete Postmuseum Liechtenstein seine Tore wieder. Seit 2019 wird das Publikum im Zoologischen Museum der Universität Zürich nicht mehr vom Riesenfaultier «Meggie» begrüsst – sondern neu von einem Einhorn und dem Eckzahn eines Narwals, dem ältesten Museumsobjekt (1677 erworben). Im Frühjahr 2019 wurde das Museo Casorella wiedereröffnet, das die Dauerausstellungen der Stadt Locarno präsentiert. Zudem wurde das Mili Weber Haus in St. Moritz renoviert und restauriert: Zwei Zimmer werden nun mit Fokus auf die renommierten Geschwister von Mili Weber – die Blumenmalerin Anna Haller, den Architekten Emil Weber und den Bildhauer Otto Weber – neu inszeniert. Die Neueröffnung des Muzeum Susch erhielt grosse Resonanz in den Medien – Architektur und Ausstellungen des Kunstmuseums sorgten für Begeisterung. Nach einer halbjährigen Umbaupause hat das Seemuseum Kreuzlingen Ende Juni 2019 rollstuhlgängig wiedereröffnet, im August wurde im Kunsthaus Zürich die Eingangshalle nach einem längeren Umbau wiedereröffnet. Anfang Oktober eröffnete das Museumsquartier Plateforme 10 in Lausanne, das künftig die Museen Musée cantonal des Beaux-arts (MCBA), das Musée de l’Elysée und das Musée de design et d'arts appliqués contemporains mudac beherbergen wird.

Auch beim Personal gibt es einige Wechsel zu verkünden: Bereits seit September 2017 hat das Zoologische Museum der Universität Zürich mit der Biologin Isabel Klusman eine neue Leitung. Einen Monat später übernahm die Ökonomin Sibylla Degiacomi die Leitung des Museums Mili Weber Haus in St. Moritz. Die Militärhistorische Stiftung des Kantons Zug (MHSZ) besetzte 2018 drei Positionen neu – das Präsidium mit René Wicky, für das Sponsoring ist nun Patrick Mollet zuständig und Manuel Hunziker für die Kommunikation. Ebenfalls seit 2018 hat die Zuger Kunstgesellschaft einen neuen Präsidenten: Richard T. Meier übergab den Präsidiumsstab altershalber an das langjährige Vorstandsmitglied, den Ökonomen Reto Fetz. An der GV 2019 wurde zudem der Vorstand mit der Kunsthistorikerin und Mittelalterarchäologin Brigitte Moser, Silvia Graemiger, Unternehmerin, und Thomas Stoltz, Rechtsanwalt und Notar, erweitert. Mit Thomas Stoltz hat die Stiftung der Freunde Kunsthaus Zug einen neuen Stiftungsratspräsidenten. Die Stiftung zur Förderung des Verkehrshauses hat seit Mai 2019 mit Peter Krummenacher einen neuen Geschäftsführer, auch der Strauhof stellt sich neu auf: Rémi Jaccard, bisheriger Co-Leiter, übernimmt die Leitung mit Philip Sippel als stellvertretendem Leiter und Kathrin Egolf als kuratorischer Assistenz. Die bisherige Co-Leiterin Gesa Schneider wechselt in den Vorstand. Ebenfalls einen Wechsel in der Geschäftsleitung erfährt das Kunstmuseum Basel: Neu wird dieses von einem aus fünf Personen bestehenden Gremium geführt – dies als Resultat einer Evaluation, die im Frühjahr 2018 durchgeführt wurde. Dieses Gremium besteht aus der Direktion und Vertretern aus den vier eigenständigen Geschäftsbereichen: Josef Helfenstein (Direktor), Anita Haldemann (Kunst & Wissenschaft), Werner Müller (Art Care), Matthias Schwarz (Finanzen & Operations) und Mirjam Baitsch (Marketing & Development). Im November 2019 tritt Annette Bhagwati die Stelle der Direktorin des Museum Rietberg an, ihr Vorgänger Albert Lutz wird pensioniert. Ebenfalls per Anfang November übernimmt Marc-Olivier Wahler die Leitung des Musée d’art et d’histoire MAH de Genève von Jean-Yves Marin. Auch das Musée d’art et d’histoire Fribourg MAHF kündigt einen Direktionswechsel an: Anfang Dezember 2019 übergibt Verena Villiger Steinhauser, die dem Museum seit 2009 als Direktorin vorstand, den Posten an Ivan Mariano. Der Historiker möchte künftig neben der Bewahrung der Sammlung den Austausch mit den Künsten und der Wissenschaft sowie zwischen den Generationen und Kulturen fördern. Schliesslich übernimmt der Kunsthistoriker Denis Decrausaz ab Dezember 2019 die Leitung des Museum Murten.

Zum Schluss Berichte von aussergewöhnlichen Transporten und ein Blick in die Zukunft: Das Verkehrshaus der Schweiz erregte im März 2019 grosse Aufmerksamkeit mit der spektakulären Überführung eines ausgedienten Rega-Ambulanzjets von Stansstad über den Vierwaldstättersee. Der Jet ist nun Teil der permanenten Ausstellung «Medizinische Hilfe aus der Luft». Per Pneukran und Sattelschlepper wurden Lenkwaffen aus dem Kalten Krieg, Leihgaben der Militärhistorischen Stiftung des Kantons Zug (MHSZ), an ihre Bestimmungsorte, das Landesmuseum und das Museum Burg Zug, transportiert. In die Zukunft blickte das Museum Langmatt: 2017–2019 erarbeitete es gemeinsam mit der Stadt Baden und Heller Enterprises das Projekt «Zukunft Langmatt», um die Finanzierbarkeit der Sanierung des Gebäudes zu klären. Schliesslich organisierte der Dachverband Museen Graubünden im Juni 2019 gemeinsam mit dem Museumsverband Südtirol eine internationale Tagung in Scuol unter dem Titel: «Neue Gäste! Zaubermittel Tourismus, Jugend und Digitalisierung?». Referentinnen und Referenten aus der Schweiz, Italien, Liechtenstein und Österreich machten sich Gedanken, mit welchen Mitteln Museen Interesse wecken, Schwellenangst nehmen und neue Gäste ins Museum bringen können.