Vom Sollen zum Wollen

Das Historische und das Natur-Museum Luzern werden zu einem neuen kantonalen Museum zusammengespart. Das partizipative Projekt «Wunsch(T)räume» dient als Motor dieser Transformation, in der das bisherige und neue Publikum ebenso gefragt ist wie die Mitarbeitenden.

Zu Beginn des Jahres luden das Historische und das Natur-Museum in Luzern ihre Besucher:innen ein, etwas über sich zu erzählen. Die Aktion mit dem Titel «Du bist, willst und magst!» sollte den Häusern helfen, ihr Publikum besser kennenzulernen – und brachte eines besonders deutlich zutage: Die Kinder im Kanton möchten in den künftigen Ausstellungen Dinosaurier sehen. Almut Grüner, Direktorin der beiden kantonalen Museen Luzern, lacht, als sie das erzählt, und zuckt mit den Schultern – denn sie kann keine Dinos in die Sammlung zaubern. «Aber vielleicht müssen wir das gar nicht. Vielleicht wäre es ein Anfang, unsere Sammlungsgegenstände rund um Mammuts in Beziehung zu Dinosauriern und zum Kanton Luzern zu setzen.»

Almut Grüner soll die beiden benachbarten Museen in eine gemeinsame programmatische Zukunft führen. Zukunft, das meint hier «ein neues, interdisziplinäres Museum, in dem sich Naturthemen und Geschichte des Kantons Luzern eng miteinander verflechten». Am Anfang dieser Fusion stand 2018 der Auftrag des Kantons, zu sparen. Die operative Zusammenführung begann Christoph Lichtin, der ehemalige Direktor des Historischen Museums und Leiter Kantonale Museen Luzern, indem er bis 2019 die Abteilungen Marketing und Kommunikation, Buchhaltung und Technik der beiden Häuser zusammenlegte. Almut Grüner und ihr Team schufen ab 2020 insgesamt vier Abteilungen, die häuserübergreifend arbeiten. Und die gesetzliche Zusammenführung zum «Luzerner Museum für Natur, Geschichte und Gesellschaft» entschied der Kantonsrat im vergangenen Juni: Bis 2030 soll an einem noch unbekannten Standort ein modernes, relevantes Museum mit Mehrwert für die Bevölkerung entstehen. Mit der erwarteten Änderung im Kulturfördergesetz, die Ende 2022 erfolgt, wird die Zusammenlegung auch formell vollzogen.

Wünsche sammeln und ernstnehmen

Doch welche Geschichten soll das neue Museum über Stadt und Land in Luzern erzählen? Und was soll es darüber hinaus können? «Das neue Museum soll vor allem Spass machen», sagt Grüner, die während ihrer Museumstätigkeiten in England erlebt hat, wie glückliche Besucher:innen aussehen. England bietet viele Referenzen im Diskurs um zeitgenössische Vermittlungs- und Erziehungsarbeit. Um also eine Grundlage für «Glück und Spass» zu erarbeiten, hat Grüner das Partizipationsprojekt «Wunsch(T)räume» ins Leben gerufen – und auch gleich die Stelle einer Fachperson Partizipation geschaffen. So ist es Agnieszka Christen, die das Projekt aufbaut, betreut, konsolidiert und evaluiert.

Christen erläutert: «Nach innen markiert ‹Wunsch(T)räume› den Startschuss für den strategischen Veränderungsprozess und die Intensivierung des partizipativen Arbeitens – nach aussen gibt es der Bevölkerung die Möglichkeit, das neue Museum mitzuplanen, indem sie an Workshops, Befragungen und experimentellen Formaten teilnehmen kann.» Finanziert wird «Wunsch(T)räume» für eine Dauer von drei Jahren aus Fördergeldern der Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte SKKG in Winterthur, dem Budget aus eigenen Töpfen und Spenden der Freundesvereine der beiden Häuser.

Eine Kreuzung aus Lenzburg und England

Bereits in der mit Christen besetzten Stelle manifestiert sich eine Haltung und auch ein Signal, nämlich «dass Partizipation nichts ist, was eine Organisation neben dem Alltagsgeschäft ‹auch noch macht›». Vielmehr gehe es darum, so Grüner, das, was man bisher gemacht habe, anders zu machen. «Ich verstehe Partizipation als Herangehensweise.» Vielleicht vergleichbar mit einer Kultur oder Praxis, die sich über alles Tun in einer Organisation legt – wie andere gegenwartsorientierte Themen wie Nachhaltigkeit oder Diversität. Hierbei hat Grüner nicht das eine Vorbild im Kopf, vielmehr schwebt ihr eine Mischung vor, «etwa aus dem Stapferhaus Lenzburg, dem nationalen Kindermuseum Eureka! in Halifax und dem Leeds City Museum». Ein Experiment also – und warum auch nicht? Sie können es sich leisten, zählen die beiden Museen doch zu den meistbesuchten in der Stadt Luzern.

Hinter «Wunsch(T)räume» steht die Absicht, «die Bevölkerung mitzunehmen, möglichst viel über unser Publikum und Nichtpublikum zu erfahren, Formate auszuprobieren und Kontakte zu knüpfen», erklärt Christen. Planvoll und zielstrebig erschliesst sich Christen bislang unterrepräsentierte Publikumsgruppen wie Senior:innen im Format von Erzählcafés oder Jugendliche im Format einer «Ausstellung von Jugendlichen für Jugendliche». «Die Vernissage dieser interaktiven Ausstellung soll in wenigen Stunden stattfinden», erzählt Christen, «und noch muten die Räume besorgniserregend unfertig an.» Plötzlich hat man eine sehr konkrete Vorstellung davon, wie herausfordernd es sein muss, als Museumsfachperson in einer partizipativen Anlage wie dieser Kompetenzen abzugeben, jahrzehntelange Erfahrung und Expertise zurückzuhalten und stattdessen in den Prozess und das Gegenüber zu vertrauen.

Die Partizipationsformel: Augenhöhe

Wie legen Christen und Grüner Partizipation für sich aus? Die beiden sind sich einig: «Auf Augenhöhe» trifft ihr Verständnis am besten. Und sie glauben, dass viele Museen an dieser «Augenhöhe» scheitern. «Denn Augenhöhe heisst, dem Gegenüber mit seinen Ideen Platz zu geben, sich mit ihm und seinen Interessen zu beschäftigen. In der Konsequenz führt das mitunter zu Setzungen, die wir so nicht oder anders gemacht hätten.» So wünschten sich die Jugendlichen ein Thema, von dem die Kurator:innen nicht einmal ahnten, dass es Teil der Lebenswelt von Jugendlichen ist: Klarträume bzw. luzides Träumen. Ferner fand Christen in ihren Workshops heraus, dass die Besucher:innen sich Formate wünschen, in denen sie einerseits mehr zuhören und andererseits selbst stärker zu Wort kommen dürfen, zum Beispiel als Zeitzeug:innen mit eigenen Geschichten.

Das Beispiel der Jugendlichen, die zu Vermittler:innen geworden sind, zeigt: Hier schafft Partizipation einen individuellen und gesellschaftlichen Mehrwert, denn es sind soziale Räume entstanden, die neu sind. Doch wie wirkt die neue Ausrichtung der Museumsarbeit nach innen, also auf die Institution, auf das Selbstverständnis und auf die Ausgestaltung klassischer Aufgaben von Mitarbeitenden? Grüner seufzt und sagt: «Was im Aussen vielleicht nicht so revolutionär klingen mag, bringt nach innen, also in der Organisation einiges durcheinander. Durch die Umstellung auf partizipative Herangehensweisen fühlen sich viele Mitarbeitende in ihrer Leistung kritisiert, haben Ängste, dass ihr Fachwissen untergehen könnte.» Hier wird «Wunsch(T)räume» buchstäblich zu einem Raum, in dem ein neues Verständnis entwickelt und eingeübt werden darf. Christen und Grüner träumen von einer Inklusionsgruppe, in der drei bis vier Mitarbeitende künftig ganz selbstverständlich partizipative Formate mitdenken, umsetzen und evaluieren. Und bestenfalls wird es normal geworden sein, Ausstellungen so zu machen.

Katharina Nill