Museen bieten als Spielfelder Möglichkeiten, Fragen von kultureller Teilhabe und Demokratie neu zu verhandeln, sagt Ivana Pilić. Die freie Kuratorin und Kulturwissenschaftlerin leitet für die Schweizer Kultur¬stiftung Pro Helvetia Workshops zu Diversität in Kulturbetrieben.
Ivana Pilić ist Co-Kuratorin von «D/Arts – Pro¬jektbüro für Diversität und urbanen Dialog» und promoviert im Schwerpunkt Wissenschaft und Kunst an der Universität Salzburg und des Mozarteums zu diskriminierungskritischen Kunstpraxen. Die Kulturwissenschaftlerin berät Kulturinstitutionen und -politik im Bereich Diversity and Arts. Unter anderem leitet sie im Rahmen von Projekten der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia Workshops zu dem Thema. Im März 2021 hat sie gemeinsam mit Anne Wiederhold die zweite Auflage des Buchs «Kunstpraxis in der Migrationsgesellschaft» herausgegeben. Im Interview erklärt sie, welche spezifischen Herausforderungen sich für Museen stellen.
Katharina Flieger: Frau Pilić, Sie unterstützen Kulturinstitutionen in Fragen der Diversität und Chancengleichheit. Sind Kulturbetriebe für dieses Thema empfänglicher als Betriebe anderer Branchen?
Ivana Pilić: Die Kulturszene ist eine internationale Szene, was eine gute Ausgangslage ist. Doch es bringt nichts, wenn Kulturbetriebe bloss auf internationale Kulturproduzentinnen und -produzenten fokussieren. Es geht auch um die Heterogenität der lokalen Bevölkerung – die soll sich in einer Institution – im Programm, im Personal und im Publikum – wiederfinden.
KF: Mit dem Begriff Diversity, oft übersetzt mit Vielfalt, wird nicht überall dasselbe gemeint. Was verstehen Sie unter Diversität?
IP: Ich verwende einen kritischen Diversitätsbegriff. Das heisst, dass ich mich nicht damit begnüge, Vielfalt als Bereicherung zu verstehen, sondern dass ich immer auch die diskriminierenden Strukturen in den Institutionen selbst anschaue. Darüber hinaus bedeutet es, nicht bloss auf migrationsbedingte Vielfalt zu fokussieren, sondern andere Kategorien miteinzubeziehen. Häufig wird über Menschen gesprochen, die aus anderen sozialen Milieus kommen – was jedoch zu einer Migrationsfrage gemacht wird. Selbstverständlich überschneiden sich die Kategorien. Aber in der oberflächlichen Auseinandersetzung wird – obwohl nicht beabsichtigt – rasch nach dem «Migrationsanderen» gesucht.
KF: Wie kommt es dazu?
IP: Dies geschieht, weil man sich nicht genau genug überlegt, welche Zielgruppe im Fokus stehen soll und was diese ausmacht. Aus einer Position der gesellschaftlichen Mehrheit heraus wird zu sehr in Schubladen gedacht. Wird beispielsweise die türkische Community imaginiert, stellt man sich diese oft als kulturferne Gruppe vor. Dass es darunter aber auch Kunstschaffende, Akademikerinnen und Akademiker gibt, geht oft vergessen. Fruchtbarer wäre es zu schauen, welche Diskriminierungen es hinsichtlich unterschiedlicher sozialer Gruppen gibt. Je vielfältiger Diskriminierung verstanden wird, desto einfacher fällt es, Massnahmen zu entwickeln. Ich plädiere für eine sorgfältige Analyse. Zuerst muss man schauen: Wer lebt da in meiner Stadt, wer interessiert mich? Jüngst gab es geradezu einen Hype um Projekte mit Geflüchteten. Doch oft geben sich Kulturinstitutionen bunt und vielfältig, ohne die eigenen diskriminierenden Strukturen anzuschauen. So entstehen feigenblattartige Projekte oder bloss oberflächliche Neuerungen, die das Konzept von Diversität schwächen und das eigentliche Ziel entwerten: mehr Teilhabe unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen an der kulturellen Bedeutungsproduktion zu fördern.
KF: Was bedeutet dies spezifisch für Museen?
IP: Museen kommt eine spezielle Rolle zu, da hier gesellschaftliche Geschichtsschreibung stattfinden kann. Sie können aber auch als Spielfeld verstanden werden, um kulturelle Teilhabe zu ermöglichen oder Demokratie neu zu verhandeln. Der Kulturbereich bietet Möglichkeiten, zu experimentieren und ein neues «Wir» zu erproben. Hier haben wir die Freiheit zu sagen: «Das ist unsere Gesellschaft und so kann sie ausschauen.» Ich glaube, dass gerade künstlerische Positionen einen Beitrag leisten können zu einer vielfältigeren Gesellschaft. Museen könnten aus einer Vorreiterposition heraus zeigen, was es heisst, mehrsprachig, vielfältig und divers zu sein. Gleichzeitig ist der Kulturbereich jedoch ein sehr homogener und elitärer Bereich – dies gilt es zu bearbeiten und zu verändern.
KF: Was bräuchte es, damit Museen diese Vorreiterrolle ausfüllen können?
IP: In Museen gibt es häufig temporäre Projekte, doch es stellt sich die Frage, was danach passiert. Wie kann man die Zielgruppe halten, wie bleibt der Raum für sie zugänglich? Wer sich zukunftsweisend verändern möchte, sollte sich mit der eigenen Institution beschäftigen und die Ressourcen prüfen. Dabei gilt es, sich offen einzugestehen, dass notwendige Kompetenzen im eigenen Haus nicht vorhanden sind und man Leute dazuholen muss, die sich schon lange mit der Thematik beschäftigen oder etwa andere Sprachkenntnisse besitzen. Danach können Projekte und Massnahmen geplant werden. Ein gut gemeintes Projekt ist nicht gut genug. In unserer Arbeit ist ein transformativer Ansatz wichtig: sich strukturell verändern, sich in die Rolle der Lernenden begeben, Dinge ausprobieren. Das braucht Zeit.
Katharina Flieger, Redakteurin Schweizer Museumszeitschrift