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museums.ch09/2014
Naturforschers Johannes Kentmann be-
herbergte (MacGregor 2007, S. 149f.).
Zwei Jahrhunderte später, im Jahr 1751,
setzte der schwedische Naturgelehrte
Carl von Linné einen Meilenstein in der
Geschichte der Depotausstattung, als er
die Konstruktionszeichnung eines von
ihm entworfenen Herbarschranks ver-
öffentlichte. Das Besondere daran war,
dass Linné die ständige Veränderung
der wissenschaftlichen Sammlungssyste-
matik von Anfang an mitkalkuliert hatte
(Müller-Wille 2001). Er stellte sich damit
erstmals bewusst einem Grundproblem
der Sammeltätigkeit: dem nie abzu-
schliessenden Forschungs- und Sam-
melprozess und der damit verbundenen
logistischen Herausforderung eines
schier endlosen Platzbedarfs.
Die Geburt des Museums-
depots im 19. Jahrhundert
Das 19. Jahrhundert gilt mit seinen
zahlreichen Museumsgründungen als
das Jahrhundert der Museen. Es macht
den Anschein, als wären die Museums-
kustoden dieser Zeit von einer Art Sucht
nach Vollständigkeit in Chronologie
und Präsentation besessen gewesen. In
der Regel versuchte ein Museum alle
Werke zu zeigen, die es besass. Ein sepa-
rates Depot war zunächst also nicht
erwünscht. Das starke Sammlungswachs-
tum führte allerdings zu plagender
Platznot in den Schausammlungen. In
vielen Museen wurden vorerst provisori-
sche Depots in Kammern und auf Dach-
böden eingerichtet. 1867 erfahren wir
in der
Allgemeinen Bauzeitung
von einem
frühen «Bilderdepôt» der kaiserlichen
Gemäldegalerie im Wiener Belvedere.
Es erstreckte sich über acht Räume,
darunter auch zwei Gänge, die wegen
allgemeiner Überfüllung zum Depot
umfunktioniert worden waren. 1882/83
berichtet Wilhelm von Bode in seiner
Autobiografie von mehr als tausend
Gemälden, die seit 1830 unbeachtet im
«Magazine auf dem Dache» im Alten
Museum Berlin lagern. Im 1894 eröff-
neten Bernischen Historischen Museum
werden bereits zwei Jahre nach Eröff-
nung «deponierte» Sammlungsobjekte
erwähnt; 1903 wurde von der Direktion
schliesslich ein Verzeichnis der nicht
oder nur ungenügend zugänglichen
Bestände im Haus veröffentlicht, um auf
die Raumnot durch den raschen Samm-
lungszuwachs hinzuweisen (Germann et
al. 1994, S. 383–386). Die Deponierung
und Lagerung von Sammlungsteilen
ausserhalb des Schaubereichs entstand
also aus praktischen Zwängen. Um
die theoretische Untermauerung dieser
Praxis entbrannte in den folgenden Jah-
ren eine hitzige Debatte.
Demokratisierung
der Museen
In der Geschichte des Museums
spiegelt sich der Strukturwandel der Öf-
fentlichkeit. Lange Zeit waren Museen
Orte, die nur Privilegierten vorbehalten
waren. Dies änderte sich im Laufe des
19. Jahrhunderts, als sich die Ausstel-
lungshäuser einem grösseren Publikum
öffneten. Die – trotz des provisori-
schen Deponierens – restlos überfüllten
Schausammlungen, die für das Laienpu-
blikum keinerlei Orientierung zuliessen,
standen einem zunehmenden Wunsch
nach Didaktik, nach breiter Wissensver-
mittlung und mehr Besucherfreundlich-
keit diametral entgegen. Immer mehr
Museumsfachleute nahmen Abschied
von der Utopie der Vollständigkeit
ihrer Schausammlungen: War weni-
ger vielleicht doch mehr? Es entstand
der Gedanke, die Sammlungen je nach
Zielpublikum in Schau-, Studien- und
Depotsammlung zu gliedern. Diese
Trennung war zunächst höchst um-
stritten, wurden damit doch Teile der
Sammlungen durch die institutionelle
Selektion bewusst verborgen und der
Öffentlichkeit entzogen. Heute nehmen
wir daran keinen Anstoss mehr, wir ha-
ben uns längst an die Deutungs- und
Beschränkungsmacht der Institution
Museum gewöhnt.
Innerhalb der leidenschaftlich ge-
führten Debatten um die Trennung der
Sammlungen kam den naturwissen-
schaftlichen Museen eine Vorreiterrolle
zu. 1860 hatte Louis Agassiz, Gründer des
Agassiz Museums der Harvard Univer-
sity in Cambridge, MA, eine didaktisch
begründete Trennung der zoologischen
Sammlungen durchgeführt. 1862 pro-
pagierte der Leiter des Natural History
Museums in London, John Edward
Gray, die Notwendigkeit zur Trennung
der Sammlungen; sein Nachfolger
William Henry Flower publizierte
schliesslich in
Essays on Museums and other
subjects connected with Natural History
(1898)
einen idealen Grundriss für die Raum-
aufteilung zwischen Schausammlung
und Depot im Verhältnis 1:1 (MacGregor
2007, S. 260–263). Im deutschsprachigen
Raum erreichte die Diskussion 1903 auf
der von der Zentralstelle für Arbeiter-
wohlfahrtseinrichtungen in Mannheim
organisierten Tagung
Museen als Volks-
bildungsstätten
einen Höhepunkt. Immer
wurde die Depot-Frage unter dem Blick-
winkel eines sich verändernden Öffent-
lichkeitsbegriffs und Bildungsanspruchs
diskutiert. Dem Modell einer Trennung
der Sammlungen traten vor allem die
traditionellen Kunstmuseen mit Skepsis
entgegen. Man befürchtete durch die
kuratorische Auswahl von Kunstwerken
eine nicht zulässige «Bevormundung»
der Besucherinnen und Besucher. Die
Disziplin der Kunstgeschichte war noch
jung und das Selbstvertrauen im Be-
wertungsprozess, zumindest aus streng
akademisch-methodischer Sicht, im
Vergleich zu den Naturwissenschaften
gering. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts
gingen jedoch immer mehr Museen
dazu über, ihre Sammlungen in Schau-
und Depotsammlung zu trennen und
eigene Depots zu planen – entweder im
baulichen Altbestand oder aber als Neu-
bau. Frühe publizierte Beispiele finden
wir im Naturhistorischen Museum in
Leiden (1905),
im Zoologischen Muse-
um der Universität Breslau (1905), im
Königlichen Münzkabinett des Kaiser
Friedrich-Museums in Berlin (1905), im
Märkischen Museum in Berlin (1909)