Die Digitalisierung hat ihren festen Platz im Museumsalltag. Im Interview erzählen drei Frauen, wie sie die Digitalisierung in ihren Institutionen umsetzen: Nicole Seeberger als Direktorin des Bündner Kunstmuseums ist via Zoom in die Arvenstube des Engadiner Museums eingeladen worden. Dort hat sie sich gemeinsam mit der Betriebsleiterin Allegra Giorgi und der Delegierten des Stiftungsrats, Patrizia Guggenheim, den Fragen der Journalistin Fadrina Hofmann gestellt.
Welchen Stellenwert hat die Digitalisierung in Ihren beiden Häusern?
Nicole Seeberger: Die Digitalisierung begleitet uns heute selbstverständlich neben dem analogen Museumsbesuch. Seit Corona haben wir ein spezielles Augenmerk auf digitale Angebote gelegt und bauen sie immer weiter aus.
Patrizia Guggenheim: Seit der Renovierung, also seit 2016, hat die Digitalisierung auch bei uns Fahrt aufgenommen. Wir haben heute Tablets, mit denen unsere Gäste alle Stuben besuchen können. Auf ihnen werden die Einrichtung und auch die Geschichte des Museums in sieben Sprachen erklärt.
Allegra Giorgi: Unsere aktuelle Sonderausstellung ist ebenfalls in dieses Programm integriert. Ausserdem bieten wir die Möglichkeit, mit dem Smartphone QR-Codes zu den Texten und Fotos zu scannen, die auf den Tablets des Engadiner Museums abgerufen werden können.
NS: Wir haben im Bündner Kunstmuseum Angebote vor Ort und ortsunabhängige Online-Angebote auf unserer Webseite. Vor Ort haben wir den Audioguide in fünf Sprachen, teilweise auch bereits in Leichter Sprache. Zusätzlich gibt es den Textguide als Zwischenlösung. Er ersetzt die Texte zu ausgewählten Werken der Sammlung, die wir lange auf Papier hatten. Das heisst, es gibt jetzt QR-Codes bei den Legenden, die man scannen und dann die Texte lesen kann. Langsam, aber sicher bewegen wir uns in die digitale Welt. Online gibt es den Sammlungskatalog und auch einen virtuellen 3D-Rundgang durch die Räume der beiden Häuser. Ausserdem stellen wir alle Hörstücke des Audioguides und Podcasts zu den Ausstellungen zur Verfügung. Wir bemühen uns, unsere Sammlung online abzubilden, mit Texten zu den Werken und Angaben zu den Provenienzen.
Wer ist bei Ihnen für die digitalen Inhalte zuständig?
NS: Bei uns ist das eine Zusammenarbeit von mehreren Abteilungen. Unsere Kommunikationsabteilung betreut unsere Webseite. Für die Podcasts zu den Ausstellungen sind der Bündner Kunstverein und die Kurator:innen zuständig, und der Audioguide wird von den Mitarbeitenden erstellt, die mit der Sammlung arbeiten.
PG: Das ist bei uns ähnlich. Die Kurator:innen erstellen die Texte zu den Sonderausstellungen und unsere Mitarbeitenden kümmern sich um die Digitalisierung im Engadiner Museum.
Hat es durch die Digitalisierung neue Stellenprofile gegeben?
NS: Nein, aber wir mussten uns diversifizieren.
PG: Genau, man musste flexibler werden.
Stärkt die Digitalisierung die Effizienz des Museumsbetriebs?
NS: Sie macht den Betrieb nicht effizienter, aber diversifizierter. Ein Ausbau benötigt natürlich mehr Ressourcen. Wir sind klar der Meinung, dass digitale Angebote einen Museumsbesuch nicht ersetzen können, aber es kann vor Ort ein Nebeneinander sein.
PG: Ja, die Digitalisierung benötigt mehr Ressourcen. Aber digitale Inhalte sind beliebt bei jenen Besucher:innen, die sich vertiefter mit der Ausstellung auseinandersetzen und sie selbstständig erkunden möchten. Parallel dazu bieten wir aber noch analoge Führungen an und diese sind rege besucht.
Wie stark werden die digitalen Angebote von den Besucherinnen und Besuchern genutzt?
AG: Sehr stark. Die Tablets sind im Eintrittspreis inbegriffen. 90 Prozent der Besuchenden nehmen sie mit und schätzen das Angebot auch. Die Stuben und ihre Objekte sind digital erfasst, jedes einzelne Objekt kann man anklicken und so seine Geschichte erfahren. Es ist ein spielerisches Element.
NS: Bei uns ist es ein Miteinander und ein Nebeneinander. Unsere öffentlichen Führungen sind sehr gut besucht. Wir haben aber auch Tagestourist:innen, die zum Beispiel bei schlechtem Wetter ins Bündner Kunstmuseum gehen und die Audioguides rege nutzen. Es sind verschiedene Anspruchsgruppen, die digitale Angebote in Anspruch nehmen, öffentliche Führungen besuchen oder beides miteinander verbinden. Den Audioguide gibt es nur zu ausgewählten Werken der Sammlung, nicht zu aktuellen Ausstellungen. Diese versuchen wir in den Podcasts zu thematisieren.
Gibt es auch ein Onlinearchiv?
NS: Ja, der Sammlungskatalog und der Audioguide mit allen Hörstücken sind online archiviert und kostenlos abrufbar. Das Museumsarchiv ist bei uns nicht öffentlich zugänglich.
AG: Wir haben ein digitales Archiv, das wir auf Anfrage zugänglich machen.
PG: Wir haben uns bereits überlegt, ob wir das Museumsarchiv online schalten könnten, aber die Kosten sind zu hoch.
Erreicht man mit digitalen Angeboten das junge Publikum eher als mit analogen?
AG: Wir hatten zuletzt Schüler:innen des Gymnasiums hier, denen wir einen Zugangscode für unser Archiv gegeben haben. Es hat ihnen Spass gemacht, damit zu arbeiten. Aber sie hatten auch Freude am Museumsbesuch.
NS: Ich kann diese Frage auch nicht mit Ja oder Nein beantworten. Wir haben noch die Kunstvermittlung mit Angeboten wie Workshops und Kunstgesprächen. Je nach Thema oder Ausstellung arbeiten wir multimedial.
Wie wichtig ist es, in den Sozialen Medien präsent zu sein?
PG: Das ist sehr wichtig. Seit wir mehr auf diesen Plattformen sind, haben wir mehr Besuchende, auch junge. Wir haben zudem das Glück, junge Mitarbeitende zu haben, die Digital Natives sind und fit in der Arbeit mit Social Media.
NS: Es gehört heute einfach dazu, auf diesen Plattformen präsent zu sein. Bei uns teilen sich die Abteilungen Kommunikation und Kunstvermittlung diese Arbeit und füttern unsere Social-Media-Kanäle. Natürlich könnte man noch viel mehr machen, aber das ist immer eine Frage der Ressourcen.
Welche Bedeutung hat die Digitalisierung für das Marketing?
PG: Marketing funktioniert fast nur noch über digitale Kanäle. Inserate schalten wir nur noch selten. Flyer haben wir aufs Postkartenformat reduziert, die Inhalte können per QR-Code abgerufen werden.
AG: Wir arbeiten eng mit St. Moritz Tourismus und den Hotels im Tal zusammen. Einmal im Jahr werben wir auch in Seilbahnen und Postautos.
NS: Wir sind analog und digital unterwegs. Der digitale Bereich ist für das Marketing sehr wichtig und wird immer wichtiger. Von Ausstellung zu Ausstellung planen wir die Werbemassnahmen neu.
Ist das Zeitalter der Plakate vorbei?
PG, AG, NS gleichzeitig: Nein!
PG: Wir drucken Plakate zu den Wechselausstellungen für uns intern, für Hotels und andere Interessierte. Es gehört einfach dazu, Plakate zu drucken.
Künstliche Intelligenz ist in aller Munde. Welchen Umgang pflegen Sie mit KI?
PG: Einen lockeren Umgang.
AG: Patrizia ist meine Lehrerin. (lacht)
PG: Ich arbeite vor allem mit ChatGPT und nutze es gelegentlich im administrativen Bereich. Die Inhalte muss man aber selbst vorgeben.
AG: Da meine Muttersprache nicht Deutsch ist, nutze ich KI für Übersetzungen, zum Beispiel beim Briefeschreiben. Die Übersetzungen sind fast perfekt.
NS: Auch wir nutzen für kurze Übersetzungen KI, sind aber noch sehr zurückhaltend. Die Texte, die wir produzieren, stammen von uns selbst. Wir tragen schliesslich eine grosse Verantwortung für unsere Inhalte.
Gibt es digitale Projekte, die Sie in naher Zukunft realisieren möchten?
AG: Ständig kommen neue Objekte zur Sammlung hinzu, die wir digitalisieren. Es ist eine Arbeit, die nicht aufhört. Toll wäre, alles online zu stellen, aber dafür fehlen die finanziellen Mittel. Ein so kleines Museum wie das Engadiner Museum kann sich das nicht leisten.
NS: Ein grosses digitales Projekt des Bündner Kunstmuseums ist das Fotoarchiv, das dringend ins 21. Jahrhundert überführt werden muss. In diesem Zusammenhang wollen wir auch unsere Reproduktionsdienstleistungen effizienter gestalten. Ein weiteres Projekt ist die Erweiterung des Audioguides in Leichter Sprache.
Fadrina Hofmann